Initiator der Interessengemeinschaft Bauernhaus war der Autor und Grafiker Julius H. W. Kraft (1917–2008). Zusammen mit 75 Bauernhausfreunden gründete er 1973 in Kirchseelte bei Bremen die Interessengemeinschaft Bauernhaus (IgB), die damals noch „Interessengemeinschaft Bauernhaus Grafschaft Hoya e.V.“ hieß. Die Gruppe wollte Denkanstöße liefern, um der Zerstörung historischer Bauten im ländlichen Raum entgegenzuwirken. Die Mitglieder gaben sich handwerkliche Hilfestellungen für Instandsetzungs- und Erhaltungsmaßnahmen ihre eigenen Häuser und trugen damit zur Bewahrung der alten Bausubstanz in der Region und ganzer Ortsbilder bei. Von Beginn an ging es ihnen darum, Wertschätzung und Bewusstsein für die regionaltypische Architektur und deren gewachsene Umgebung zu schaffen.
Die Liebe zu ländlichen Bauten und historischen Bauernhäusern entwickelte Julius H. W. Kraft als er 1959 mit seiner Frau ein bis auf das 16. Jahrhundert zurückgehendes, abbruchreifes Niederdeutsches Hallenhaus in Kirchseelte kaufte und begann, es selbst zu renovieren. Es war die Zeit vor Inkrafttreten der Denkmalschutzgesetze. Die Idee der Instandsetzung und Restaurierung regionaltypischer historischer Gebäude war damals auf den Dörfern nicht verbreitet. Ermutigt durch Julius Kraft kauften weitere Menschen leerstehende und dem Verfall geweihte Bauernhäuser und begannen, diese zu renovieren, bevor sie überhaupt eine Genehmigung dafür hatten.
Weil damalige gesetzliche Bestimmungen die Erhaltung und Umnutzung ländlicher Architekturzeugnisse erschwerten, kämpften sie mit Julius Kraft jahrelang gegen restriktive Behördenentscheidungen. Der § 35 des Bundesbaugesetzes ließ damal Bauvorhaben im Außenbereich bis dahin nur zu eingeschränkten Bedingungen zu, um eine weitere Zersiedelung der Landschaft zu verhindern. Diese Regelung begünstigte den Verfall von Bauernhäusern und Hofgebäuden, die nicht zu Wohnzwecken instandgesetzt werden durften. Nachdem 1976 das Denkmalschutzgesetz eingeführt wurde, erreichten die Mitglieder der IgB im Zusammenschluss mit anderen Mitstreitern – aus allen Regionen Deutschlands – durch Interventionen beim Bundestag eine Novellierung des Bundesbaugesetzes § 35.
Seither ist eine Privilegierung von Gebäuden im
Außenbereich möglich, wenn diese für eine Kulturlandschaft charakteristisch
sind und sie auf unverwechselbare Weise prägen. Der Erhaltung von
Denkmalen wurde von nun an ein höherer Stellenwert beigemessen als dem
Ziel, den Außenbereich von historischen Bauernhäusern und Hofstellen frei zu machen. Mit diesem Ergebnis
ihres politischen Wirkens erwies die IgB bereits kurze Zeit nach der
Vereinsgründung ihre fachliche und politische Relevanz.
Bei ihrem Engagement für historische Bauten im ländlichen Raum nutzen IgB-Mitglieder von Beginn an das erprobte Repertoire bürgerbewegten
Handelns - von Protestschreiben über Plakate und
Demonstrationen bis hin zu „Beerdigungsfeiern” vor abgerissenen oder
einsturzgefährdeten Häusern. Manche Mitglieder der frühen IgB waren zuvor in
der
Studentenbewegung der 1960er-Jahre oder Teil der
Anti-AKW-Bewegung. Das Thema Nachhaltigkeit ist seither von zentraler Bedeutung in der Interessengemeinschaft Bauernhaus, die für eine klimafreundliche, ressourcenschonende und fachgerechte Atlbauerhaltung mit ökologischen Materialien steht. Damals – wie heute – geht es uns darum, im Einsatz für die ländliche Baukultur die Vertreter entgegengesetzter
Haltungen durch stichhaltige und positive Argumente und Instandsetzungsbeispiele zu überzeugen. (jr)
Julius Kraft
schreibt über die Entstehung der IgB: „Ich selbst, in den ersten Jahren
voll mit meiner Ruine von Bauernhaus beschäftigt, fand nach und nach
Freunde in der Grafschaft Hoya, die etwas ähnliches angefangen oder
vorhatten: ein aus der landwirtschaftlichen Nutzung herausgefallenes
Anwesen durch Neunutzung zu erhalten. Es wurden immer mehr, da nach und
nach jeder zweite Hof aufgegeben wurde. Interessenten waren auch genug
da, doch die Administration trat gewaltig dazwischen, wollte alle alte
Bausubstanz aus der Landschaft herausrationalisieren. Man zahlte sogar
für die Beseitigung der per Gesetz (§ 35 BBauG) entstandenen Ruinen
Abbruchprämien. Mit einigen Freunden versuchten wir, diesem Treiben ein
Ende zu machen, da wir die Identität der Landschaft dahinschwinden
sahen. Viele, die sich der verlassenen Bausubstanz pfleglich und oft
genug mit denkmalpflegerischer Absicht annehmen wollten, verstanden die
Welt nicht mehr. Weil jeder einzeln von den Ämtern abgetan wurde,
mussten wir 1973, obgleich alle keine Vereinsmeier waren, einen Verein
gründen".
Lesen Sie hier den Beitrag aus Holznagel 1/2023, Heinz Riepshoff: Wir erinnern uns. Gründungsgeschichte der IgB
In Kirchseelte bei Bremen gründen 75 Bauernhausfreunde die IgB. Der Initiator Julius H. W. Kraft wird zum Vorsitzenden gewählt.
Der erste Tag der offenen Tür der IgB findet statt.
Zum Europäischen Denkmalschutzjahr erscheint erstmalig „Der Holznagel".
Kurt Brünjes gründet die erste Außenstelle der IgB im Landkreis Osterholz.
Julius H. W. Kraft erhält für seine Verdienste um die Erhaltung des ländlichen Bauerbes den Deutschen Preis für Denkmalschutz des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz. Der Preis ist die höchste Auszeichnung auf diesem Gebiet.
Ralf Folke Schwinge löst Julius H. W. Kraft als Vorsitzenden ab. Dieser wird zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Im April 1991 stirbt Ralf Folke Schwinge. Kurt Brünjes übernimmt die Vereinsführung.
Die IgB schreibt anlässlich des 75 jährigen Geburtstages ihres Gründers den mit 3.000 DM dotierten Julius-H.-W.-Kraft-Preis aus.
Nach dem Tod des Vorsitzenden Kurt Brünjes übernimmt Dr. Dietrich Maschmeyer die Vereinsführung.
Der komplette IgB-Vorstand wird neu gewählt. Die Mitgliederversammlung wählt Stefan Haar im Heimatmuseum Syke zum neuen Vorsitzenden.
Der Holznagel erscheint erstmals in Farbe.
Die IgB bekommt eine neue Internetseite.
Heinz Riepshoff wird von der Mitgliederversammlun g zum Ehrenvorsitzenden gewählt.
Hajo Meiborg wird durch die Mitgliederversammlung in Güstrow zum neuen Vorsitzenden gewählt.
Die IgB ernennt erstmals ein Bauernhaus des Jahres. 2017: Das Spreewaldhaus
Die IgB feiert ihr 50-jähriges Jubiläum!
Die Mitgliederversmmlung beschließt einstimmig:
„Die IgB lehnt extremistische, insbesondere menschenfeindliche und ausgrenzende Positionen unverändert ab und bekennt sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland.“
Der ehemalige ehrenamtliche IgB-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Heinz Riepshoff erhält den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland für sein ehrenamtliches Engagement.
Vorstandsmitglied Manfred Röver erhält das Bundesverdienstkreuz für sein jahrzentelanges Engagement in der IgB.
Es setzt sich zusammen aus der Silhouette eines niederdeutschen Hallenhauses, das von einem Wappensymbol, den Bärenklauen der Grafen von Hoya, umfangen wird. Die nach außen gekehrten Bärentatzen erinnern an die Giebelzier niederdeutscher Hallenhäuser.
Insofern ist das Haussymbol der IgB eng mit ihrer Kernzelle in der Grafschaft Hoya verbunden, von der seit 1973 die Vereinsarbeit ausging, die sich seither weiter über die Landkarte Deutschlands ausbreitet.
Wir lieben alte Häuser bringt auf den Punkt, worum es uns geht. Wir kümmern uns nicht nur um Bauernhäuser, sondern setzen
uns allgemein für die Erhaltung historischer Bausubstanz insbesondere
im ländlichen Raum ein, für die Bewahrung gewachsener Ortsstrukturen und ihre Landschaft. Die fachgerechte, ressourcenschonende, nachhaltige und preisgünstige
Instandsetzung von alten Häusern liegt uns am
Herzen. Um dies zu erreichen, teilen die IgB-Mitglieder
als bundesweites Netzwerk ein breites Fachwissen in Theorie und Praxis, das sie auch an Außenstehende gerne weitergeben.