Alt- und Neubau soll gar keine Konkurrenz bedeuten. Ich bin nicht gegen schöne und gut gestaltete moderne Bauten. In einem gut organisierten und ökonomisch vernünftig geordneten Haushalt ist es jedoch so, dass erst die vorhandenen Vorräte genutzt werden, bevor man neue Vorräte anschafft. Sehr viele alte Bauten, die für unterschiedlichste Funktionen errichtet wurden, bieten ein riesiges Potential an Nutzflächen, auch wiederum für diverse Zwecke. Fantasievolle Bauherren/-frauen und ArchitektInnen haben dafür wunderbare Beispiele gegeben, durchaus ergänzt mit modernen Attributen. Alte Gebäude exisitieren oft schon Jahrhunderte und können, sofern die Substanz noch gut ist, weiter genutzt werden. Sie enthalten ökologisch wertvolle Materialien, die wir heute mit ihren guten Raumeigenschaften sehr schätzen: Luftdurchlässigkeit, Feuchtigkeit aufnehmend und abgebend, keine giftigen Stoffe absondernd, die unsere Gesundheit ruinieren.
Oft sind die alten Gebäude mit sehr viel Sorgfalt gestaltet worden. Ihre Ausstattungen sind Demonstrationsobjekte für unterschiedlichste Handwerkstechniken, die heute oft nicht mehr bekannt sind. Sie sind langlebig und gut zu reparieren. Sie zeigen uns Geschichte. Ganz besonders hervorheben möchte ich das enorme Energiereservoir: Materialien wie Ziegelsteine, Natursteine, Lehm, Holz sind gespeicherte Energie. Diese Energie wird durch den Abriss unsinnigerweise verschwendet, die wertvollen Materialien landen auf gemischten Bauschutthalden. Edelste Hölzer in Stärken, wie wir sie heute kaum noch erhalten, werden verbrannt und reichern unsere Luft mit noch mehr CO2 an. Schließlich bauen wir vielleicht für das gute Gewissen ein „Niedrigenergiehaus“, für dessen Neubau wieder Energie verbraucht wird. Deshalb empfinde ich die derzeitige Energiediskussion oft als Schwindelpaket. Auch die Kurzlebigkeit vieler Neubauten ist eine unnötige, riesige Verschwendung unserer Steuergelder. Wir müssen davon weg kommen, aus Profitinteresse Bauten hinzustellen, die nach kurzer Zeit renovierungsbedürftig sind, wie beispielsweise das Hochhaus der Deutschen Rentenversicherung in Berlin. 40 Jahre nach dem Aufbau muss es zurzeit für 175 Millionen Euro saniert werden. Schließlich vermeiden wir durch den Erhalt alter Bausubstanz weitere landschaftszerstörende Zersiedlungen, wir erhalten Boden und Vegetation und leisten so einen Beitrag zum Artenschutz, zum Klimaschutz und zu einem lebenswerten Umfeld.
Historisch gewachsene Häuser, Dörfer und Städte haben einen besonderen „Zeigerwert“. Genau genommen sind sie aus der Landschaft heraus gewachsen. Sie spiegeln besondere Besiedlungsformen wider, denn nicht nach Rendite, sondern nach ökonomischer Vernunft wurden die Siedlungsplätze ausgewählt. Die besten Böden waren der Landwirtschaft vorbehalten. Wir lernen also Siedlungsgeschichte kennen. An den regionalen Besonderheiten der Häuser können wir die Landschaft ablesen. Wir sehen, woraus die Landschaft geformt ist. In einem Gebiet, in dem wir zahlreiche Schieferdächer vorfinden, scheint es Schiefergestein zu geben. Wir schauen in die Landschaft und denken „Aha, diese steilen Wände entlang den Bachläufen sind also aus Schiefergestein.“ So finden wir heraus, ob wir in einem Sandsteingebiet sind, oder vielleicht ist Granit vorhanden. Bestehen die Häuser aus Holz und Lehm? Dann scheint kein Gestein anzustehen. Vielleicht finden wir dort eine aus Feldsteinen gebaute Kirche, Steinmauern aus Findlingen, glatt geschliffen von der Eiszeit. Die verschiedenen geologischen Formationen haben unterschiedliche Formensprachen.
Zum Beispiel erkennen wir, wie sich die Flüsse in Gestein oder Sand eingegraben haben. Auch treffen wir unterschiedliche Vegetation und verschiedene landwirtschaftliche Nutzungen an. So zeigen uns regionale Bauweisen, aus welchem Stoff die Landschaft besteht. Sie sind typische Landschaftsmerkmale, die uns mehr über die Landschaft vermitteln, als wir ahnen. Es ist das, was Kulturlandschaft ausmacht. Vielleicht ist es das, was schlechthin als Heimat verstanden wird.
Im Spreewald kommen verschiedene Aspekte zusammen. Wir erleben hier eine besondere Wiesen- und Waldlandschaft, geprägt von dem weit verzweigten Gewässerlabyrinth, das in dieser Größenordnung in Europa einmalig ist. Es bietet Möglichkeiten zum Wandern, Radfahren, Wassersport, auch zum geruhsamen Kahnfahren und Naturerleben. Von Cottbus ist die Entfernung nach Burg (Spreewald) 15km, auf einem schönen Fahrradweg entlang der Spree gut erreichbar. Von Berlin und Dresden etwa eine Stunde mit dem Auto oder der Regionalbahn entfernt, ist das Gebiet bedeutend für die Naherholung dieser Städter, darüber hinaus bundesweit und international bekannt und beliebt. Viele AnwohnerInnen leben vom Tourismus. Nicht jede Region bietet derartige Anreize und kann vom Tourismus leben. Warum ist ein Dorf in einer der ärmsten und am dünnsten besiedelten Regionen in der Uckermark im äußersten Nordosten der Republik seit einigen Jahren mit zunehmender Bevölkerung zu einem lebendigen Ort mit jungen Familien und einer gediegenen Existenzgrundlage geworden? Wie dieses Wallmow gibt es andere Orte mit vielfältigen Entwicklungen, ohne dass wir die genauen Gründe kennen. Ein Phänomen, dem wir nachspüren sollten. Einzelkämpfer gehören dazu, AktivistInnen, die sich von der Landschaft angezogen fühlten oder von den besonderen Häusern, die liebevoll saniert worden sind. Sicherlich hat es zu tun mit einer hohen Gestalt- und Lebensqualität, die in solchen Orten herrscht. Es hat zu tun mit gesunden Lebensformen und dem Wunsch nach Ruhe und weniger Stress. Oder mit einem attraktiven Kulturangebot und mit lebendiger Vielfalt von Vereinen und Betrieben.
Auch der Wunsch nach überschaubaren Strukturen, in denen Möglichkeiten bestehen, das eigene Umfeld mit gestalten zu können, spielt vermutlich eine Rolle. Grundlagenforschung zu diesem Thema wäre ein wichtiger Beitrag zur Belebung abgelegener Regionen. Dass Landschaften durch gute Planungen attraktiv gemacht werden können, beweist die Internationale Bauausstellung Emscher Park im Ruhrgebiet. Wer hätte vor 30 Jahren daran gedacht, dass aus maroden Industriegebieten und armseligen Verhältnissen mit Hilfe guter Planung und einem riesigen Strukturwandel für viele Kommunen menschenwürdige Landschaften und Existenzmöglichkeiten geschaffen werden könnten. Gute Ideen und kreative Menschen sind gefragt. Doch solche Prozesse funktionieren nicht ohne gute Planung und entsprechende finanzielle Mittel.
Einmal abgesehen von besonderen Sanierungsgebieten, von herausragenden Kulturgütern und unter Denkmalschutz stehenden Bereichen wird von der öffentlichen Hand zu wenig dafür getan, Altbaubestände zu erhalten. Sicherlich gibt es „die Förderung der integrierten ländlichen Entwicklung“, Programme zur Verbesserung ländlicher Strukturen und Dorferneuerung, angesiedelt bei den Landwirtschaftsministerien der Länder. Oft fehlt es in den Kommunen an der fachlichen Ausstattung, an vorbereitenden Geldmitteln, an fachkundiger Begleitung und am langen Atem. Bei mir bekannten Dorferneuerungen wurde meist mehr neu gebaut als Bausubstanz erhalten. Es gibt keinen echten Anreiz für die EigentümerInnen, ihre alten Häuser zu erhalten. Abgerissen ist schnell, viel zu schnell. Auch ein neues Haus ist schnell wieder aufgebaut.
Viel schwieriger ist es, sich für eine Sanierung zu entscheiden. Es bedeutet mitdenken und mitarbeiten, lernen über die Architektur, sich auseinandersetzen mit der Geschichte der Häuser und es kostet Geld, oft mehr als ein Neubau. Die Mitglieder der IgBauernhaus wählen diesen mühsamen Prozess, weil sie ihre alten Häuser lieben. Viel mehr Menschen könnten von dem Privileg und der Besonderheit, in historischen Häusern zu wohnen, überzeugt werden. Jedoch müssten sie eine Belohnung erfahren dafür, dass sie diesen schwierigen Weg wählen. Indem sie kulturelles Erbe erhalten, leisten sie einen bedeutenden gesellschaftlichen Beitrag. Deshalb sollten Anreize geschaffen werden, die das Sanieren attraktiv machen. Zur Altbauerhaltung von profanen Gebäuden in Dörfern und Städten brauchen wir keine „Leuchtturmprojekte“. Stattdessen müssen Förderungen in die Fläche gehen. Seit den Nachkriegsjahren wurde Wohnungsneubau immer wieder großzügig und flächenhaft gefördert. Solche Förderprogramme wären zur Erhaltung von Altbauten notwendig. Auch in die Infrastruktur müsste intensiv investiert werden. Hier sind neue Konzepte der Vernetzung gefragt. Die Altbauförderung zur energetischen Sanierung (KfW-Förderung) ist einseitig und unzureichend. 50 Millionen Euro für nationale Städtebauprojekte (2014-2015) sind ein Tropfen auf den heißen Stein, eine Kontinuität ist nicht erkennbar. Letztere Programme sind angesiedelt beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Letzten Endes können sich Privatleute im Dschungel der Förderprogramme und bei den verschiedenen Zuständigkeiten der Verwaltungen kaum zurechtfinden.
Auf jeden Fall können solche großen Gebäudekomplexe auch für altersgerechte Wohnungen umgenutzt werden. Überhaupt keinen Sinn macht es, alte Menschen in schönen Gutshäusern auf dem idyllischen Lande unterzubringen, wenn es dort an jeglicher Infrastruktur mangelt. Anbindungen an den öffentlichen Verkehr dürfen genauso wenig fehlen wie eine ausreichende Versorgung für den alltäglichen Bedarf am Ort. Ich bin der Meinung, dass wir wieder verstärkt zu generationenübergreifenden Konzepten kommen sollten. Nicht nur, weil dadurch die Alten Unterstützung erhalten, auch junge Familien mit ihren Kindern können davon profitieren. Im Gegensatz beispielsweise zu den Niederlanden, wo generationenübergreifende Wohnprojekte schon seit Langem gefördert wurden, haben wir in Deutschland oft recht homogene Verhältnisse. Beispielsweise wurde in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Berlin flächen- und kostensparendes Bauen für junge Familien gefördert mit dem Ergebnis, dass heute dort eher 60-70jährige Menschen wohnen. Kindergärten und Schulen werden nicht mehr benötigt.
In Blankenfelde, einem Dorf am nördlichen Rande Berlins wurde und wird ein großes denkmalgeschütztes Stadtgut saniert und als Natur-, Kultur-, Lebens- und Arbeitsprojekt für alle Generationen entwickelt. Seitdem im Sommer 2012 die ersten BewohnerInnen zwischen 0 und 93 Jahren eingezogen sind, gab es 6 Geburten. Mittlerweile leben dort 65 Erwachsene aller Altersstufen und 35 Kinder. Dieses Projekt ist beispielhaft, viele ähnliche Projekte verdienen eine Förderung.
Ich glaube nicht, dass es mit persönlichem Egoismus zu tun hat. Vielmehr hat es vermutlich eher zu tun mit den persönlichen Lebensentwürfen und den jeweiligen gegebenen Möglichkeiten, die ich vorher schon benannt habe. Wenn ich nicht daran glauben würde, dass gerade die Vielfalt an Wohn- und Lebensmodellen eine besondere Qualität bedeutet, würde ich mich nicht dafür engagieren. In Deutschland haben wir wunderbare Landschaften. Es wäre ein großer Verlust, wenn Sie bald nicht mehr besiedelt wären und Efeu über die alten Häuser wachsen würde. Heute ist von den meisten Orten aus eine Verbindung in die Welt möglich. Firmen brauchen keine Adresse am Kurfürstendamm von Berlin. Viele Arbeiten können insofern heute viel besser auch mit dem Leben auf dem Lande verbunden werden. Wir, die Mitglieder der Außenstelle Spreewald der IgB e.V., sind eine kleine ehrenamtlich wirkende Gruppe, die die historischen Spreewaldhäuser hochschätzen. Mit dem Wiederaufbau unseres IgB-Spreewaldhauses möchten wir die in der Region lebenden Menschen animieren, ihre alten Block- und Ziegelhäuser als kulturelles Erbe und als Teil der Landschaft zu erhalten. Mit diesem öffentlichen Projekt schaffen wir einen Ort des Lernens und der Kommunikation. Dort können sich Besucherinnen und Besucher ein Spreewaldhaus von innen und außen genau anschauen und den Geist des Ortes, den „Spiritus loci“ aufspüren. Nicht eine „olle Bude“ werden sie sehen, sondern einen geschützten Ort voller Behaglichkeit und Wärme. In diesem Streusiedlungsgebiet gibt es zahlreiche Hofstellen unterschiedlicher Größe, die bislang zur Landwirtschaft gehörten und deshalb nur privilegiert in diesem Sinne genutzt werden durften.
Mit Hilfe einer gezielten Planung der Gemeinde kann nunmehr eine
Umnutzung dieser Höfe im Außenbereich und Landschaftsschutzgebiet zum
Wohnen und für touristische Zwecke genehmigt werden. Auf den Höfen
geborene Kinder und Enkelkinder ebenso wie zugezogene Städterinnen und
Städter beleben die Hofstellen neu. Neben bäuerlichen Betrieben sind
Pensionen, Gaststätten, Bootsverleihe, kleine Manufakturen, ein
Handwerkerhof, mehrere Töpfereien, eine Schnapsbrennerei und vieles mehr
entstanden. Die Nutzungen sind so vielfältig wie die Menschen, die
dort wohnen. Das Spreewaldhaus der IgBauernhaus am Schlossberghof, in
guter Gesellschaft neben der Burger Biosphärenverwaltung, dem
Kräutergarten und der Kräutermanufaktur, ist ein Teil davon.
Als Mitglied im erweiterten Vorstand,AG Kulturlandschaft, vertritt Gabriele Höppner die IgB im Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Nationalkommitee für Denkmalschutz und sie ist Mitglied des Forums Kulturlandschaft beim Bund Heimat und Umwelt.