Die erschütternden Ereignisse der Unwetter-Katastrophe von
Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz haben Menschenleben gefordert
und
Existenzen vernichtet. Kulturlandschaften, alte
Ortskerne und Gebäude aller Art wurden von der
zerstörerischen Kraft des Wassers getroffen, genauso wie Straßen,
Schienen, Telefonleitungen
und Teile der Stromversorgung. Nachdem in den Tagen nach der Flut erste humanitäre Hilfe geleistet wurde
und Aufräumarbeiten zum Abschluss kamen,
wollte die IgB mit ihrem gebündeltem Fachwissen
weiter helfen. Es war uns dabei ein großes Anliegen, dass
die noch erhalten gebliebenen, über Jahrhunderte gewachsenen
Ortsbilder bewahrt werden. Und, dass die historische
Bausubstanz, die den Charme und die Identität
der Dörfer und Regionen ausmacht, nicht durch unnötige Abrisse und
unsachgemäße Instandsetzungen geopfert wird. Daher wollten wir gezielt
und überschaubar im Rahmen unserer
eigenen Möglichkeiten von der Flut betroffenen
Altbaubesitzern solidarisch helfen.
Auftakt der IgB-Hilfsaktion war im Juli eine Anfrage von Vorstand und Geschäftsführung an Vereinsmitglieder in NRW und Rheinland Pfalz sowie an unsere Außen- und Kontaktstellen. Mit dem Rundschreiben erfragten wir, ob Mitglieder, ihre Familien oder Freunde von der Flutkatastrophe betroffen sind. Gleichzeitig war es ein Aufruf, sich mit Rat und Tat an einer spontanen Hilfsaktion zu beteiligen und die Besitzer flutgeschädigter Bauten mit IgB-Kompetenz zu unterstützen. Angesprochen wurde bewusst dieser „kleine“ Kreis, weil nicht abzusehen war, wie die Resonanz von Hilfesuchen und Hilfswilligen sein würde, und diese von uns – Vorstand und Geschäftsführung – bewältigt werden könnte. Wichtig war uns, dass die IgB konkret helfen kann, und dass hochqualifizierte Fachleute, die teilweise weite Anreisen auf sich nehmen, auch adäquat an geschädigten Bauten eingesetzt werden. Sehr schnell meldeten sich IgB-Mitglieder, die auf kurzem Wege zunächst über Dr. Barbara Mikuda-Hüttel von der Kontaktstelle Trier an Betroffene weiter verwiesen werden konnten. Denn sie hatte bereits zu einem frühen Zeitpunkt durch persönliche Kontakte einen sehr guten Überblick als weder Telefon noch Internet funktionierten. In der Nordeifel zeigte sich Ende Juli bei einer Begehung von Dörfern um Bad Münstereifel mit Britta und Hajo Meiborg – Kontaktstelle Euskirchen –, dass Gebäude als einsturzgefährdet gekennzeichnet waren, die unseres Erachtens nach zum Teil noch rettbar erschienen. Mit dem Bauamt in Bad Münstereifel erreichten wir schnell eine unbürokratische, gemeinsame Inaugenscheinnahme der Orte Iversheim und Arloff. Mit dabei waren sieben erfahrene IgB-Mitglieder, zwei Mitarbeiterinnen des Bauamts sowie der Vorsitzende des Dorfvereins.
Unser Augenmerk legten wir besonders auf nicht
denkmalgeschützte aber ortsbildprägende und
bauhistorisch relevante Gebäude. Ihre meist
hochbetagten Besitzer waren unter einen
erheblichen Druck. Oft ware sie nicht ausreichend
versichert und konnten – anders als Denkmalbesitzer – keine Fördermittel
beantragen.
Viele Hauseigentümer fanden sich in ihren zerstörten Häusern wieder und
wussten häufig nicht,
was zu tun ist im Umgang mit der alten Bausubstanz. Um zu helfen, haben wir ein kurzfristiges Angebot geschaffen: „Hilfe zur Selbsthilfe beim Fachwerkhaus“.
Erfahrene IgB-Mitglieder boten interessierten
Hausbesitzern – insbesondere in Iversheim und
Arloff, zwei Dörfer mit hergebrachten Strukturen und viel altem
Baubestand – an, bei einem
Termin vor Ort geschädigte Gebäude bzw. Gebäude, deren Abriss droht,
anzusehen und einzuschätzen, ob und wie diese zu bewahren sind.
Die
Situation offenbarte uns auch durch
Rückmeldungen von verschiedenen Seiten die
Konsequenzen einer personellen und fachlichen
Unterbesetzung von Bauämtern mit ihren unteren Denkmalbehörden, die oft
mit Halbtagskräften und zu einem Teil wohl sogar ehrenamtlich
agieren. Die Behörden waren nicht ausreichend aufgestellt, um
dem, was von ihnen verlangt wurde, gerecht zu werden. Gleichzeitig arbeitete die Landesregierung von NRW an dem neuen Denkmalschutzgesetz, das damals schon eine Schwächung der
Denkmalfachämter vorsah. Schon damals befürchteten wir, dass dies die vorgefundenen Defizite weiter verstärken würde, s. auchNeufassung des Denkmalschutzgesetzes von NRW. Aus diesem Grund plädierten wir
von der IgB dafür, im Rahmen einer Gesetzesnovellierung allenfalls
Änderungen von Einzelaspekten an dem bestehenden Denkmalschutzgesetz vorzunehmen und zwar entsprechend
der zuvor stattgefundenen Evaluationen des Gesetzes. Dazu
boten wir unsere Unterstützung an – gemeinsam
mit Experten aus anderen Baukultur-Organisationen,
mit denen wir uns zum „Denkmalschutz-Bündnis NRW“ zusammengeschlossen
haben www.denkmalschutz-erhalten.nrw.
Bei bestem Spätsommerwetter fand Anfang September in Iversheim bei Bad Münstereifel eine Lehmbau-Aktion der IgB statt. Rund 30 Interessierte, die auch aus den umliegenden Ortschaften gekommen waren, wollten das Baumaterial kennenlernen. Die meisten von ihnen sind Besitzerinnen und Besitzer von Fachwerkhäusern, die bei der Flutkatastrophe schwer getroffen wurden. Nachdem das Wasser zurückgegangen war, zeigte sich Fachwerk überall in den alten Ortskernen. Oft kam es unter zahlreichen Schichten von Wandverkleidungen – vielfach mit Hartschaum (Styropor) – zum Vorschein, als diese zur Trocknung der Häuser heruntergerissen wurden. Weil sich nun die Gelegenheit bot, Instandsetzungen ressourcenschonend, mit altbaugerechten und nachhaltigen Materialien durchzuführen, war es der IgB ein wichtiges Anliegen, möglichst viele Menschen für diesen Weg des Wiederaufbaus zu gewinnen, und wie beim Termin in Iversheim beispielsweise zu zeigen, dass Lehm unkompliziert am Fachwerkhaus verbaut werden kann – sowohl bei der Reparatur als auch beim komplett neuen Aufbau von Gefachen.
Während manche Teilnehmer die von den IgB-Mitgliedern demonstrierten Techniken gleich selbst erprobten, gab es des Weiteren konkrete Tipps zu verschiedensten Baufragen – immer mit dem Ziel, die positiven Aspekte einer nachhaltigen Instandsetzung zu veranschaulichen. Diese solidarische Unterstützung war uns wichtig, damit nach der Flut nicht noch mehr Verlust von alter Bausubstanz durch unnötigen Abriss und unsachgemäße Instandsetzung entsteht.
Eine fachgerechte und ökologische Bestandserhaltung sowie der sensible Umgang mit historisch gewachsenen Strukturen bedeutet für uns Bewahrung von Baukultur und Umweltschutz bzw. Klimaschutz gleichermaßen. In Deutschland verbraucht die Bauindustrie die meisten Ressourcen und sie produziert gleichzeitig einen erheblichen Teil des Abfalls. Ein gutes Planen und Bauen, das sich auch in vielen Jahren noch als vorausschauend erweist, ist daher für uns in der IgB von grundsätzlicher Bedeutung; sowohl was die Wahl der Materialien angeht, als auch in Bezug auf den architektonischen Entwurf.
Die andauernden, extremen Regenfälle, die im
Juli in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen
dazu geführt haben, dass die Pegel von Ahr und
Erft innerhalb kürzester Zeit in die Höhe schossen
und zu einer zerstörerischen Flutwelle wurden,
sind eine Folge der Klimakrise. Gerade vor diesem
Hintergrund muss aus unserer Sicht ein nachhaltiger Wiederaufbau in den Flutregionen, auch
bei der Fördermittelvergabe, im Fokus stehen
und ein zentrales Leitmotiv sein. In diesem Sinne fordert auch die Bürgerinitiative Lebenswerte
Stadt gemeinsam mit anderen Organisationen
aus dem Bereich Baukultur und Umweltschutz
für das Ahrtal in ihrem an das Innenministerium
Rheinland-Pfalz gerichteten Wiederaufbaupapier einen durchdachten, durchkomponierten
und nachhaltigen Wiederaufbau, der den „ökologischen, architektonisch-baukulturellen, historischen und – eben dadurch auch – wirtschaftlichen Kriterien standhält.
Der Ruf nach Nachhaltigkeit beim Bauen ist nicht
neu. Bereits seit ihrer Gründung im Jahr 1973
setzt sich die IgB für das Bauen im Bestand sowie
für Ressourcenschonung, Wiederverwendung
von Baumaterialien und Recycling beim Bauen
und Instandsetzen ein. Unsere Positionen haben
wir im Papier „Bestandserhaltung ist Klimaschutz“ zusammengefasst.
Für Aufmerksamkeit sorgte in jüngster Vergangenheit der
Bund der Architekten mit seiner Schrift „Das Haus
der Erde. Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land“ von 2019. An die Architektenschaft und an die Öffentlichkeit gerichtet,
fordert der Dachverband ein Umdenken im Bauen – ein ökologisches Umsteuern. „Wir brauchen
eine neue Kultur des Pflegens und Reparierens“,
heißt es. Bauen müsse vermehrt ohne Neubau
auskommen. Priorität solle dem Bestehenden zukommen und nicht dessen leichtfertigem Abriss.
Die „graue Energie“ will der BDA zukünftig berücksichtigt wissen als einen wichtigen Maßstab
bei der energetischen Bewertung. Das Papier
ist die Folgeschrift des schon 2009 verfassten BDA-Klimamanifests mit dem Titel „Vernunft für
die Welt“.
Nach wie vor mahnen Initiativen, wie aktuell die
Architects for Future, die große Dringlichkeit einer ökologischen Bauwende an. Zuletzt hat die
IgB im Juli 2021 eine an die BundesbauministerInnenkonferenz gesendete MusterUMbauordnung der
Architects for Future mitgezeichnet. Das Papier
enthält von den Architects for Future ausgearbeitete Änderungsvorschläge der Musterbauordnung (MBO) in eine MusterUMbauordnung. Die
Vorschläge reichen vom Bauen im Bestand über
den wertschätzenden Umgang mit Ressourcen,
Fläche und Material bis hin zum kreislauffähigen
Bauen. Ziel ist, die gesamte Immobilienbranche
nachhaltig zu entwickeln.
Die Lehmbau-Aktion der IgB, auf die auch die Untere Denkmalbehörde von Bad Münstereifel online und über Aushänge aufmerksam gemacht hatte, war ein Teil der Aktivitäten unseres Vereins in der Flutregion. Sie begannen Ende Juli 2021 und dauern 2023, zwei Jahre nach der Flut, an vereinzelten Stellen an.
Bis September 2021 hatten insbesondere die IgB-ler Frederik Lehmann,
Frank Liedtke, Hajo Meiborg (Kontaktstelle Euskirchen) und Johannes Prickarz etwa 25 Häuser rund um Bad Münstereifel
und Euskirchen in Augenschein genommen, wobei ihr Schwerpunkt auf Iversheim und Arloff lag.
Bei ehrenamtlichen Ersteinschätzungen geschädigter Gebäude bzw. von Gebäuden, deren Abriss drohte, erklärten sie Besitzerinnen und Besitzern den baugeschichtlichen Wert, machten
Einschätzungen zur Standsicherheit nach Sichtprüfung, gaben Tipps zur Gebäudetrocknung sowie Hinweise zur Nutzung altbaugerechter Materialien. Dabei war es egal, ob die Häuser unter
Denkmalschutz stehen oder nicht.
Ein Ergebnis der Begehungen ist, dass bei allen bisher besichtigten Objekten nach Sichtprüfung ein Abriss nicht notwendig erscheint. Ein Haus konnte auf diese Weise sogar in letzter Minute vor dem Abrissbagger gerettet werden. Interessant ist außerdem, dass der Gebäudebestand im Kern zum Teil älter zu sein scheint, als bisher angenommen wurde. Viele Bauten sind wohl noch vor dem Dreißigjährigen Krieg entstanden. Diesem Umstand sollte nochmals nachgegangen werden, ist er doch von besonderer Bedeutung für den baukulturellen Wert des historisch gewachsenen Bestands der Eifeldörfer. Die von der IgB aufgesuchten Hausbesitzer waren in der Regel sehr dankbar und erleichtert über die umfassenden Informationen. Viele würden ihre Gebäude gerne altbaugerecht instandsetzen. Es zeigte sich jedoch häufig mangelnde Erfahrung sowie weit verbreitete Unkenntnis und Unsicherheit, was das Vorgehen bei der Gebäudetrocknung und den Umgang mit altbaugerechten Baustoffen angeht. Mit der Lehmbau-Aktion in Iversheim bot die IgB für viele Interessierte einen ersten Einstieg ins Thema.
2022 leistete die IgB weiter ehrenamtlich beratend Hilfe zur Selbsthilfe und konnte in manchen Fällen auch Handwerker vermitteln. Ein denkmalgeschütztes Gebäude wurde in diesem Zusammenhang vor dem Abriss gerettet.
Zum ersten Jahrestag der Flutkatastrophe hat uns der Verein AG Historisches Ahrtal zum gegenseitigen Kennenlernen nach Walporzheim eingeladen, wo uns die Mitglieder zwei ihrer Projekthäuser zeigten. Der Verein formierte sich kurz nach der Flut, um die historischen Fachwerkhäuser – neben dem Weinanbau DAS Kulturgut des Ahrtals – zu retten. Innerhalb kürzester Zeit haben sie ein schlagkräftiges Helfer-Netzwerk aufgebaut, das ehrenamtlich Eigentümer berät, Vorträge hält und durch Praxis-Anleitungen Hilfe zur Selbsthilfe leistet sowie (angehende) Fachleute fortbildet. Bei unserem Treffen in Walporzheim wurden die gemeinsamen Anliegen und Ziele von IgB und AG Historisches Ahrtal sehr deutlich, sodass wir uns zukünftig gerne mehr zusammentun möchten.
2023, am zweiten Jahrestag dauert der Wiederaufbau weiterhin an. Die betroffenen Menschen kämpfen nach wie vor mit vielen verschiedenen Herausforderungen als Folgen der Flutkatastrophe. Immer noch sind vereinzelt IgB-Mitglieder in Dörfern beratend und praktisch helfend aktiv. Auch haben IgB-Mitglieder als Anleiter die großartige Aktion von rund 300 Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterstützt, die im Rahmen der Jugendbauhütten der Deutschen Stiftung Denkmalschutz im Juni für zwei Wochen bei einem Fluthilfecamp im Ahrtal praktische Bauhilfe leisteten.
Julia Ricker
Die WDR Reporterin Monika Mengel hat IgB-Mitglieder bei ihrem Einsatz in der Eifel begleitet, wo unser Verein flutgeschädigte Hausbesitzerinnen und Besitzer berät, ob und wie sie ihre alten Bauten wieder instandsetzen können. Entstanden ist eine Radio-Reportage, die am 14. Oktober beim WDR 5 in der Sendung "Neugier genügt" gesendet wurde. Zur Reportage geht es hier...
Damit Fachwerkhausbesitzer in den Flutgebieten der Eifel ihre Häuser selbst und mit altbaugerechten Materialien instandsetzen können, gibt es jetzt ein Schritt-für-Schritt Erklärvideo zur Fachwerkausmauerung mit Lehmsteinen: https://www.youtube.com/watch?v=GHThIiwQtGg