Iversheim in der Eifel im Sommer 2021 nach der Flutkatastrophe © Interessengemeinschaft Bauernhaus, Julia Ricker

Hilfsaktion nach der Flutkatastrophe

Die verheerenden Zerstörungen der Flutkatastrophe vom 14. Juli 2021 betreffen in den Eifelregionen zu einem großen Teil die historisch gewachsenen Ortskerne. Damit nach der Flut nicht noch mehr Verlust von alter Bausubstanz durch unnötigen Abriss und unsachgemäße Instandsetzung droht, leisteten IgB-Mitglieder gezielt und beratend solidarische Hilfe zur Selbsthilfe.

Die erschütternden Ereignisse der Unwetter-Katastrophe von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz haben Menschenleben gefordert und Existenzen vernichtet. Kulturlandschaften, alte Ortskerne und Gebäude aller Art wurden von der zerstörerischen Kraft des Wassers getroffen, genauso wie Straßen, Schienen, Telefonleitungen und Teile der Stromversorgung. Die gesamte Tragweite der Ereignisse wird wohl erst nach und nach klar werden. Nachdem erste humanitäre Hilfe geleistet wurde und Aufräumarbeiten zum Abschluss kommen, wollte die IgB mit ihrem gebündeltem Fachwissen weiter helfen. Es ist uns ein großes Anliegen, dass die jetzt noch erhalten gebliebenen, über Jahrhunderte gewachsenen Ortsbilder weiter bewahrt werden können. Und, dass die historische Bausubstanz, die den Charme und die Identität der Dörfer und Regionen ausmacht, nicht durch unnötige Abrisse und unsachgemäße Instandsetzungen geopfert wird. Daher wollen wir gezielt und überschaubar und im Rahmen unserer eigenen Möglichkeiten von der Flut betroffenen Altbaubesitzern solidarisch helfen.

IgB leistet Hilfe zur Selbsthilfe

Auftakt der IgB-Hilfsaktion war im Juli eine E-Mail von Vorstand und Geschäftsführung an IgB-Mitglieder in NRW und Rheinland Pfalz sowie an unsere Außen- und Kontaktstellen. Mit dem Rundschreiben erfragten wir, ob IgBler, ihre Familienmitglieder oder Freunde von der Flutkatastrophe betroffen sind. Gleichzeitig war es ein Aufruf, sich mit Rat und Tat an einer Hilfsaktion zu beteiligen und die Besitzer flutgeschädigter Bauten mit IgB-Kompetenz zu unterstützen. Angesprochen wurde bewusst dieser „kleine“ Kreis, weil nicht abzusehen war, wie die Resonanz von Hilfesuchen und Hilfswilligen sein würde, und von uns bewältigt werden könnte. Wichtig ist uns, dass die IgB konkret helfen kann, und dass hochqualifizierte Fachleute, die teilweise weite Anreisen auf sich nehmen, auch adäquat an geschädigten Bauten eingesetzt werden. Sehr schnell meldeten sich IgB-Mitglieder, die auf kurzem Wege zunächst über Dr. Barbara Mikuda-Hüttel von der Kontaktstelle Trier an Betroffene weiter verwiesen werden konnten. Denn sie hatte bereits zu einem frühen Zeitpunkt durch persönliche Kontakte einen sehr guten Überblick, während weder Telefon noch Internet funktionierten. In der Nordeifel zeigte sich bei einer Begehung von Dörfern um Bad Münstereifel mit Britta und Hajo Meiborg – Kontaktstelle Euskirchen –, dass Gebäude als einsturzgefährdet gekennzeichnet sind, die unseres Erachtens nach zum Teil noch rettbar erscheinen. Mit dem Bauamt in Bad Münstereifel erreichten wir eine unbürokratische, gemeinsame Inaugenscheinnahme der Orte Iversheim und Arloff. Mit dabei waren sieben erfahrene IgB-Mitglieder, zwei Mitarbeiterinnen des Bauamts sowie der Vorsitzende des Dorfvereins.

IgB-Mitglieder unterwegs in Iversheim © Julia Ricker, Interessengemeinschaft Bauernhaus e. V.
viele Häuser sind massiv getroffen © Julia Ricker, Interessengemeinschaft Bauernhaus
Mitarbeiterinnen des Bauamts begleiten die Gruppe © Julia Ricker, Interessengemeinschaft Bauernhaus

Unser Augenmerk legten wir besonders auf nicht denkmalgeschützte aber ortsbildprägende und bauhistorisch relevante Gebäude. Ihre meist hochbetagten Besitzer geraten jetzt unter einen erheblichen Druck. Oft sind sie nicht ausreichend versichert und können – anders als Denkmalbesitzer – keine Fördermittel beantragen. Viele Hauseigentümer finden sich in ihren zerstörten Häusern wieder und wissen häufig nicht, was zu tun ist im Umgang mit der alten Bausubstanz. So haben wir ein IgB-Angebot geschaffen: „Hilfe zur Selbsthilfe beim Fachwerkhaus“. Erfahrene IgB-Mitglieder bieten interessierten Hausbesitzern – insbesondere in Iversheim und Arloff, zwei Dörfer mit hergebrachten Strukturen und viel altem Baubestand – an, bei einem Termin vor Ort geschädigte Gebäude bzw. Gebäude, deren Abriss droht, anzusehen und einzuschätzen, ob und wie diese zu bewahren sind.

Die aktuelle Situation offenbart uns auch durch Rückmeldungen von verschiedenen Seiten die Konsequenzen einer personellen und fachlichen Unterbesetzung von Bauämtern mit ihren unteren Denkmalbehörden, die oft mit Halbtagskräften und zu einem Teil wohl sogar ehrenamtlich agieren. Die Behörden sind nicht aufgestellt, um dem, was gerade von ihnen verlangt wird, gerecht zu werden. Wie notwendig ein gutes Denkmalschutzgesetz ist, wird gleichermaßen offensichtlich. Sachkundige Denkmalpfleger, die ihre Expertise einbringen, sind im Zusammenspiel mit den unteren Denkmalbehörden unabdingbar. Die geplante Neufassung des Denkmalschutzgesetzes von NRW sieht eine Schwächung der Denkmalfachämter vor, was die existierenden Defizite weiter verstärken würde. Die Verluste historischer Bausubstanz durch die Unwetter-Katastrophe zeigen, wie fragil unser baukulturelles Erbe sein kann. Jetzt darf nicht noch mehr Kulturgut zur Disposition gestellt werden. Aus diesem Grund plädieren wir von der IgB dafür, im Rahmen einer Gesetzesnovellierung allenfalls Änderungen von Einzelaspekten vorzunehmen und zwar entsprechend der bisherigen Evaluationen des Gesetzes. Dazu bieten wir unsere Unterstützung an – gemeinsam mit Experten anderer Baukultur-Organisationen, mit denen wir uns zum „Denkmalschutz-Bündnis NRW“ zusammengeschlossen haben www.denkmalschutz-erhalten.nrw.

Lehmbau Aktion in Iversheim © Britta Meiborg, Interessengemeinschaft Bauernhaus
Hajo Meiborg und Michael Pfeil, IgB zeigen wir Gefache neu aufgebaut und repariert werden können © Julia Ricker, Interessengemeinschaft Bauernhaus
Die Teilnehmer probieren die gelernte Technik selbst aus. © Britta Meiborg, Interessengemeinschaft Bauernhaus

Der Wiederaufbau soll nachhaltig sein

Bei bestem Spätsommerwetter fand Anfang September in Iversheim bei Bad Münstereifel eine Lehmbau-Aktion der IgB statt. Rund 30 Interessierte, die auch aus den umliegenden Ortschaften gekommen waren, wollten das Baumaterial kennenlernen. Die meisten von ihnen sind Besitzerinnen und Besitzer von Fachwerkhäusern, die bei der Flutkatastrophe in der Nacht vom 15. Juli schwer getroffen wurden. Fachwerk zeigt sich jetzt überall in den alten Ortskernen der Eifeldörfer. Oft kam es unter zahlreichen Schichten von Wandverkleidungen – vielfach mit Hartschaum (Styropor) – zum Vorschein, als diese zur Trocknung der Häuser heruntergerissen wurden. Weil sich nun die Gelegenheit bietet, Instandsetzungen ressourcenschonend, mit altbaugerechten und nachhaltigen Materialien durchzuführen, ist es der IgB ein wichtiges Anliegen, möglichst viele Menschen für diesen Weg des Wiederaufbaus zu gewinnen, und wie beim Termin in Iversheim beispielsweise zu zeigen, dass Lehm unkompliziert am Fachwerkhaus verbaut werden kann – sowohl bei der Reparatur als auch beim komplett neuen Aufbau von Gefachen.

Während manche Teilnehmer die von den IgB-Mitgliedern demonstrierten Techniken gleich selbst erprobten, gab es des Weiteren konkrete Tipps zu verschiedensten Baufragen – immer mit dem Ziel, die positiven Aspekte einer nachhaltigen Instandsetzung zu veranschaulichen. Diese solidarische Unterstützung ist uns wichtig, damit nach der Flut nicht noch mehr Verlust von alter Bausubstanz durch unnötigen Abriss und unsachgemäße Instandsetzung entsteht. Eine fachgerechte und ökologische Bestandserhaltung sowie der sensible Umgang mit historisch gewachsenen Strukturen bedeutet für uns Bewahrung von Baukultur und Umweltschutz bzw. Klimaschutz gleichermaßen. In Deutschland verbraucht die Bauindustrie die meisten Ressourcen und sie produziert gleichzeitig einen erheblichen Teil des Abfalls. Ein gutes Planen und Bauen, das sich auch in vielen Jahren noch als vorausschauend erweist, ist daher für uns in der IgB von grundsätzlicher Bedeutung; sowohl was die Wahl der Materialien angeht, als auch in Bezug auf den architektonischen Entwurf. Die andauernden, extremen Regenfälle, die im Juli in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen dazu geführt haben, dass die Pegel von Ahr und Erft innerhalb kürzester Zeit in die Höhe schossen und zu einer zerstörerischen Flutwelle wurden, sind eine Folge der Klimakrise. Gerade vor diesem Hintergrund muss aus unserer Sicht ein nachhaltiger Wiederaufbau in den Flutregionen, auch bei der Fördermittelvergabe, im Fokus stehen und ein zentrales Leitmotiv sein. In diesem Sinne fordert auch die Bürgerinitiative Lebenswerte Stadt gemeinsam mit anderen Organisationen aus dem Bereich Baukultur und Umweltschutz für das Ahrtal in ihrem an das Innenministerium Rheinland-Pfalz gerichteten Wiederaufbaupapier einen durchdachten, durchkomponierten und nachhaltigen Wiederaufbau, der den „ökologischen, architektonisch-baukulturellen, historischen und – eben dadurch auch – wirtschaftlichen Kriterien standhält.

Der Ruf nach Nachhaltigkeit beim Bauen ist nicht neu. Bereits seit ihrer Gründung im Jahr 1973 setzt sich die IgB für das Bauen im Bestand sowie für Ressourcenschonung, Wiederverwendung von Baumaterialien und Recycling beim Bauen und Instandsetzen ein. Unsere Positionen haben wir im Papier „Bestandserhaltung ist Klimaschutz“ zusammengefasst. Für Aufmerksamkeit sorgte in jüngster Vergangenheit der Bund der Architekten mit seiner Schrift „Das Haus der Erde. Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land“ von 2019. An die Architektenschaft und an die Öffentlichkeit gerichtet, fordert der Dachverband ein Umdenken im Bauen – ein ökologisches Umsteuern. „Wir brauchen eine neue Kultur des Pflegens und Reparierens“, heißt es. Bauen müsse vermehrt ohne Neubau auskommen. Priorität solle dem Bestehenden zukommen und nicht dessen leichtfertigem Abriss. Die „graue Energie“ will der BDA zukünftig berücksichtigt wissen als einen wichtigen Maßstab bei der energetischen Bewertung. Das Papier ist die Folgeschrift des schon 2009 verfassten BDA-Klimamanifests mit dem Titel „Vernunft für die Welt“. Nach wie vor mahnen Initiativen, wie aktuell die Architects for Future, die große Dringlichkeit einer ökologischen Bauwende an. Zuletzt hat die IgB im Juli 2021 eine an die BundesbauministerInnenkonferenz gesendete MusterUMbauordnung der Architects for Future mitgezeichnet. Das Papier enthält von den Architects for Future ausgearbeitete Änderungsvorschläge der Musterbauordnung (MBO) in eine MusterUMbauordnung. Die Vorschläge reichen vom Bauen im Bestand über den wertschätzenden Umgang mit Ressourcen, Fläche und Material bis hin zum kreislauffähigen Bauen. Ziel ist, die gesamte Immobilienbranche nachhaltig zu entwickeln.

Gefache: stark mitgenommen, aber wieder reparierbar © Julia Ricker, Interessengemeinschaft Bauernhaus
innen und außen wird gearbeitet © Britta Meiborg, Interessengemeinschaft Bauernhaus
Johannes Prickarz arbeitet mit Stroh und Wasser Altlehm auf © Julia Ricker, Interessengemeinschaft Bauernhaus

Bisherige IgB-Fluthilfeaktionen

Die Lehmbau-Aktion der IgB, auf die auch die Untere Denkmalbehörde von Bad Münstereifel online und über Aushänge aufmerksam gemacht hatte, ist Teil übergreifender Aktivitäten unseres Vereins in der Flutregion. Sie begannen bereits Ende Juli und dauern weiterhin an. Insbesondere die IgB-ler Frederik Lehmann, Frank Liedtke, Hajo Meiborg (Kontaktstelle Euskirchen) und Johannes Prickarz haben inzwischen etwa 25 Häuser rund um Bad Münstereifel und Euskirchen in Augenschein genommen, wobei ihr Schwerpunkt auf Iversheim und Arloff lag. Bei ehrenamtlichen Ersteinschätzungen geschädigter Gebäude bzw. von Gebäuden, deren Abriss drohte, erklärten sie Besitzerinnen und Besitzern den baugeschichtlichen Wert, machten Einschätzungen zur Standsicherheit nach Sichtprüfung, gaben Tipps zur Gebäudetrocknung sowie Hinweise zur Nutzung altbaugerechter Materialien. Dabei war es egal, ob die Häuser unter Denkmalschutz stehen oder nicht.

Ein Ergebnis der Begehungen ist, dass bei allen bisher besichtigten Objekten nach Sichtprüfung ein Abriss nicht notwendig erscheint. Ein Haus konnte auf diese Weise sogar in letzter Minute vor dem Abrissbagger gerettet werden. Interessant ist außerdem, dass der Gebäudebestand im Kern zum Teil älter zu sein scheint, als bisher angenommen wurde. Viele Bauten sind wohl noch vor dem Dreißigjährigen Krieg entstanden. Diesem Umstand sollte nochmals nachgegangen werden, ist er doch von besonderer Bedeutung für den baukulturellen Wert des historisch gewachsenen Bestands der Eifeldörfer. Die von der IgB aufgesuchten Hausbesitzer waren in der Regel sehr dankbar und erleichtert über die umfassenden Informationen. Viele würden ihre Gebäude gerne altbaugerecht instandsetzen. Es zeigte sich jedoch häufig mangelnde Erfahrung sowie weit verbreitete Unkenntnis und Unsicherheit, was das Vorgehen bei der Gebäudetrocknung und den Umgang mit altbaugerechten Baustoffen angeht. Mit der Lehmbau-Aktion in Iversheim bot die IgB für viele Interessierte einen ersten Einstieg ins Thema. Wenn möglich, möchten wir noch mehr Aktionen durchführen. Angedacht wurde bereits in einer Besprechung mit weiteren hilfswilligen IgB-Mitgliedern eine große Veranstaltung, bei der theoretisches Wissen zur altbaugerechten Instandsetzung vermittelt wird. Kombiniert werden könnte dieser Termin mit einem weiteren Praxiseinsatz.

Julia Ricker

WDR 5 Radio-Reportage über die IgB-Fluthilfeaktion in der Eifel

Die WDR Reporterin Monika Mengel hat IgB-Mitglieder bei ihrem Einsatz in der Eifel begleitet, wo unser Verein flutgeschädigte Hausbesitzerinnen und Besitzer berät, ob und wie sie ihre alten Bauten wieder instandsetzen können. Entstanden ist eine Radio-Reportage, die am 14. Oktober beim WDR 5 in der Sendung "Neugier genügt" gesendet wurde. Zur Reportage geht es hier...


Erklärvideo Fachwerkausmauerung

Damit Fachwerkhausbesitzer in den Flutgebieten der Eifel ihre Häuser selbst und mit altbaugerechten Materialien instandsetzen können, gibt es jetzt ein Schritt-für-Schritt Erklärvideo zur Fachwerkausmauerung mit Lehmsteinen: https://www.youtube.com/watch?v=GHThIiwQtGg

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