In bemerkenswerter Dichte haben sich hier etwas weniger als 700 stattliche Vierseithöfe erhalten, die in ihrer Grundfläche oft die Ausdehnung eines Fußballfeldes erreichen. Sie zeugen von einer landwirtschaftlichen Blütezeit, in der auf den nährstoffreichen Lössböden des Altenburger Landes reiche Erträge erwirtschaftet wurden. Neben guten Ernten begünstigte das Anerbenrecht die finanzielle Stellung der Altenburger Bauern: Vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert praktiziert, sah es vor, dass das väterliche Gut jeweils dem jüngsten Sohn ungeteilt übergeben wurde.
Die wirtschaftliche Position eines Gehöfts war an den Besitz von Pferden gebunden. Ein Ackerpferd stand für eine Hufe Land, was rund acht Hektar ausmachte. Die wohlhabendsten Bauern besaßen sechs bis zehn Pferde. Rund 20 bis 40 Hektar Land gehörten zu einem durchschnittlich großen Hof. Es gab aber auch Güter, die rund 80 Hektar erreichten.
Für die Zeit um 1560 lassen sich die ältesten Vierseithöfe belegen, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entstanden. Neubauten im 20. Jahrhundert behielten bis in die 1930er-Jahre die Form des Vierseithofs bei, nun allerdings in massiver Bauweise. Typisch für den Altenburger Vierseithof sind seine einzelnen Gebäude, die sich an vier Seiten um einen gepflasterten Innenhof gruppieren. Mittelpunkt des Innenhofs ist ein ummauerter oder umzäunter Misthaufen, auch Viehring genannt, weil hier die Kühe den Mist zertraten. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts erhielten die Ställe massive Außenwände. Im 19. Jahrhundert kamen in ihrem Inneren Gewölbekonstruktionen hinzu, die von wertvollen Porphyr-Säulen gestützt werden. Sie verleihen den Vierseithöfen ihren Charakter, genauso wie der Laubengang, über den man in die anliegenden Räume des ersten Obergeschosses kommt. Zum Beispiel in die Porstube (der Raum „empor“), die als Lagerraum diente, und in deren bis zu 100 m² großem Saal die bäuerlichen Feste stattfanden.
Holznagel-Ausgabe zum Altenburger Vierseithof - Bauernhaus des Jahres 2024 (erscheint Ende Februar)
Wegen ihrer repräsentativen Funktion erhielten manche Porstuben teils mit Sinnsprüchen verzierte Wände oder Gefache. Nach außen, zum Dorf hin, wird der Vierseithof oft durch ein Torhaus geschlossen. Von der Straße aus ist der mächtige Fachwerkgiebel des Wohnhauses als Ausdruck des bäuerlichen Selbstbewusstseins und Wohlstands gut zu sehen. Der Stolz der Altenburger Bauern zeigt sich übrigens nicht nur in den Höfen, sondern auch in ihrer Tracht, die als eine der ältesten Trachten Deutschlands gilt und ihren Ursprung in der spanischen Hofmode hat.
Für die Mitte des 19. Jahrhunderts sind im Altenburger Land noch über 2.200 Gehöfte bezeugt. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie mit dem Einzug des Sozialismus und der damit verbundenen Kollektivierung der Landwirtschaft wurden viele von ihnen zerstört. Ställe und Scheunen wurden verschleißgenutzt und später oftmals abgebrochen. Die meisten Abrisse erfolgten dann in den 1970er Jahren und vor allem nach der politischen Wende, vor oder nach der Rückübertragung der nun nicht mehr genutzten Gebäude, während die Wohnhäuser in der Regel im Familienbesitz verblieben.
Trotz der massiven Einbußen der letzten hundert Jahre haben sich die Vierseithöfe bis heute in einer bemerkenswerten Zahl erhalten. Im Jahr 2000 gab es im Landkreis noch knapp 700 komplette Hofanlagen. Sie sind jedoch unvermindert bedroht, wenn sich keine Menschen finden, die sich an ein solches Projekt herantrauen, die Ensembles übernehmen und instandsetzen wollen. Denn das Beeindruckende an den Höfen, ihre gewaltige Größe, bringt leider auch ihre Gefährdung mit sich.
Um der Zerstörung des wertvollen Kulturguts der Altenburger
Vierseithöfe Einhalt zu gebieten, hat sich 1996 der Verein
Altenburger Bauernhöfe gegründet, der sich mit derzeit 93
Mitgliedern und viel Fachkompetenz ihrer Erforschung, Dokumentation
und Erhaltung sowie der Geschichts- und Brauchtumspflege der
Altenburger Bauern widmet. Als eine Art Hilfe zur Selbsthilfe für
die Vierseithöfe führt der Verein Notsicherungen an gefährdeten
Hofanlagen aus und vermittelt sie über seine Bauernhausbörse an
neue Besitzer, deren Interessen er auch vertritt.
Die IgB und die Altenburger Akteure, unsere Kooperationspartner in diesem Jahr, sind schon lange freundschaftlich verbunden. Bereits 2007 reiste unser Verein ins Altenburger Land, um die Region, ihre Bauten und die Leute, die sich für sie einsetzen, kennenzulernen. Viele Mitglieder des Altenburger Bauernhöfe e. V. sind seitdem auch Mitglieder der IgB und nehmen regelmäßig an den Frühjahrs- und Herbsttreffen teil. Außerdem haben wir mit Andreas Kastl eine Kontaktstelle im Altenburger Land.
Die IgB ernennt 2024
zusammen mit dem Verein Altenburger Bauernhöfe den Altenburger
Vierseithof zum Bauernhaus des Jahres. Gemeinsam wollen wir diesem
jahrhundertealten Kulturgut eine bundesweit größere Aufmerksamkeit
verleihen und auch das Altenburger Land bekannter machen. Seit 2017
proklamiert die IgB das Bauernhaus des Jahres, um die vielfältige
wie schützenswerte regionale Baukultur in Deutschland bekannt zu
machen. Mit der Aktion wollen wir dazu beitragen, dass immer mehr
Menschen den Wert ländlicher Bauten erkennen. Für uns ist dies ein
erster und wichtiger Schritt, damit sich ein breites
gesellschaftliches Interesse und Engagement für die Bewahrung des
jahrhundertealten Gebäudebestandes in seiner gewachsenen Umgebung entwickelt.
Julia Ricker
Andreas Klöppel / Dr. Dieter Salamon
Altenburger Vierseithöfe – Landbaukunst in der Kornkammer Thüringens.
Die Festveranstaltung für das Bauernhaus des Jahres 2024 fand auf dem Hof Klau in Lehma statt. Der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Bauernhaus, Hajo Meiborg, wies in seiner Begrüßung auf die Bedeutung dieser Aktion hin: „Wir möchten auf diese Weise nun schon zum siebten Mal auf einen bedrohten Haustyp aufmerksam machen. Wir freuen uns, dass unsere Veranstaltung Menschen motiviert und in der Region Früchte trägt.”
Martin Burkhardt, Vorsitzender der Altenburger Bauernhöfe, schlug den Bogen in die Geschichte. „Das Holz für diesen Hof wurde im Jahr 1685 geschlagen. In diesem Jahr wurde auch Johann Sebastian Bach geboren.” Martin Burkhardt ließ es sich als Musiker nicht nehmen, am Schlagzeug persönlich für die musikalische Umrahmung des Festaktes zu sorgen. Ihm zur Seite standen am Piano Robert Herrmann vom Kulturhof Kleinmecka sowie Michael Semper mit dem E-Bass.
Von der deutschlandweiten Würdigung des Altenburger Vierseithofes erhofft sich Burkhardt eine Sensibilisierung für das gebaute Gedächtnis der Region sowie die „enorme Aufbauleistung unserer Vorfahren”. Eine Herausforderung seien die Veränderungen in der landwirtschaftlichen Wirtschaftsweise. „Vierseithöfe passen nicht mehr ins landwirtschaftliche System”, so Burkhardt. Für Investoren seien nur die wertvollen Böden interessant, nun gehe es darum, für die verbliebenen Hofstellen neue Nutzungen zu finden. „Wir wünschen uns einen achtsamen Umgang mit unseren Höfen. Bauen im Bestand schont Ressourcen und schont das Klima.” Deshalb fordere man mit Partnern ein Abrissmoratorium, welches eine Genehmigungspflicht für alle Gebäudeabrisse vorsieht – eine Forderung, die auch wir von der Interessengemeinschaft Bauernhaus vertreten.
Die Schirmherrin des Bauernhaus des Jahres, Susanna Karawanskij, Ministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft des Freistaates Thüringen, betonte, dass die Bewahrung von Baukultur nur gelingen kann, wenn „die gesamte Gesellschaft Verantwortung übernimmt”. „Unser gebautes Erbe geht uns alle an”, so Karawanskij, die neue Nutzungen für bauliche Ressourcen als Zukunftsaufgabe formulierte. „Wir sollten Leerstand nicht als Missstand betrachten, sondern als Leergut.” Vor dem Hintergrund knapper Ressourcen sei eine Bauwende notwendig. „Ein Umdenken findet statt. Ressourcen- und klimaschützendes, nachhaltiges Bauen rückt in den Fokus”, betonte die Ministerin, die in diesem Zusammenhang für den Einsatz regionaler, ökologischer Baustoffe wie Lehm und Holz warb. Die Vielfalt der thüringischen Landschaft sei Garant für Lebensqualität, es komme aber auch darauf an, soziale Orte in Stadt und Land zu schaffen. Teilhabe schaffe sich nicht von selbst, sondern benötige das Zutun vieler. Dies habe sie im Altenburger Land erlebt. „Sie wagen Dorfsein, Sie wagen Gemeinschaft, die sich aneinander reibt und miteinander wächst”, so Karawanskij.
Dr. Steffen Skudelny, Vorstand der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, betonte, dass die Stiftung und die Interessengemeinschaft Bauernhaus „parallele Ansätze” haben. Um Einfluss nehmen zu können, sei die Vernetzung der Akteure wichtig. „Bundespolitisch wird der Denkmalschutz leider oft als Hemmnis betrachtet. Die Menschen vor Ort sehen das anders”, so Skudelny. Eigentümer und Vereine seien wichtige bürgerschaftliche Schlüssel für das gemeinsame Anliegen und um so mehr gelte es, das ehrenamtliche Engagement zu unterstützen. „Sie spenden Ihre Zeit. Damit sind Sie Multiplikatoren für den Denkmalschutz. Jede Aktion, jede Veranstaltung ist Werbung für unser gemeinsames Thema”, sagte Skudelny auch mit Blick auf das Bauernhauses des Jahres als „wunderbare Möglichkeit, auf gefährdete Bausubstanz aufmerksam zu machen”.
„Wir tragen unsere Ideen mit großem Fachverstand in der Theorie und Praxis in die Gesellschaft”, unterstrich die Geschäftsführerin der Interessengemeinschaft Bauernhaus, Dr. Julia Ricker: „Wir packen zu und mischen uns ein, wenn alte Häuser oder die Menschen, die sie besitzen, Hilfe benötigen.” Ricker betonte gleichzeitig die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements auf politischer Ebene. „Wir alle, die wir uns für die Erhaltung alter Häuser einsetzen, müssen darauf hinweisen, dass die Bestandserhaltung einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, dass sie wertvolle Ressourcen schont und Energie spart. Das müssen wir mit unseren vorbildlichen Hausinstandsetzungen tun. Und mit guten Argumenten, die wir im eigenen Dorf sowie auf Landes- und Bundesebene anbringen.”
Landeskonservator Holger Reinhardt setzte die Vierseithöfe in den Kontext zur Kultur- und Landschaftsgeschichte. Insbesondere das Einerbenrecht habe den dauerhaften Bestand der großen Höfe gesichert. Im 19. Jahrhundert habe mit der Modernisierung des Landesrechtes ein Entwicklungsschub in der Landwirtschaft eingesetzt, der mit einer Baukonjunktur einherging. In dieser Zeit seien die großen „Kuhkathedralen” entstanden. Nachdem mit der Kollektivierung der Landwirtschaft althergebrachte Gefüge nachhaltig verändert worden seien, stehe man auch heute vor großen Umbrüchen. In der Nachwendezeit hätten wiederum viele Strukturen infrage gestanden. „Der ländliche Raum hat darunter gelitten”, so Reinhardt, der sich freute, dass die Hauslandschaft des Altenburger Landes mit der Aktion der IgB eine besondere Würdigung erfährt. „Dass wir diese Höfe nicht verlieren, ist das Verdienst der Eigentümer und der Vereine und Engagierten. Ohne Sie vor Ort nützen alle staatlichen Initiativen nichts”, so Reinhardt.
Der Trebener Bürgermeister Klaus Hermann freute sich über die große Resonanz für die Ausrufung des Vierseithofes zum Bauernhaus des Jahres. „Wir wünschen uns die Erhaltung möglichst vieler Höfe. Im Sozialismus war kein Platz für private Landwirtschaft, viele Höfe wurden heruntergewirtschaftet. 1989 kam zum Glück der Wendepunkt”, so Hermann.
Landrat Uwe Melzer machte auf die prägende Rolle der Vierseithöfe für den ländlichen Raum aufmerksam und dankte allen Engagierten, die sich für die Bewahrung dieser Höfe einsetzen. Er freute sich, dass die Region mit der Ausrufung des Bauernhauses des Jahres überregional in den Fokus rückt. „Ich hoffe, dass sich Menschen für das Altenburger Land interessieren und dass sie sich von der Energie der Einheimischen anstecken und inspirieren lassen”, so Melzer.
Auch der Gothaer Oberbürgermeister und Präsident des Deutschen Trachtenverbandes Knut Kreuch war mit Glückwünschen angereist. „Der Verein Altenburger Bauernhöfe hat enorm viel geleistet”, so Kreuch. Es komme nun darauf an, neben ihrer Schönheit auch ihr Potential zu sehen.
Christine Kohnke-Löbert