Großschönau, Umgebindehaus © Interessengemeinschaft Bauernhaus, Wolfgang Domeyer

Das Umgebindehaus: Bauernhaus des Jahres 2020

Die sächsische Oberlausitz besitzt eine einmalige Architekturlandschaft: Über etwa 50 Kilometer konzentriert sich in den Dörfern südlich von Bautzen bis in die Region rund um Löbau und Zittau eine beispiellose Zahl an Umgebindehäusern.

Manche Ortskerne besitzen fast 300 dieser regionaltypischen Bauten, andere sogar noch mehr. Und ihre Vielfalt ist unermesslich. Kein Haus gleicht dem anderen. Das Umgebindehaus vereint unter seinem Dach bis zu drei verschiedene, sonst separat auftretende Bauweisen. Sie verleihen ihm seinen ästhetischen Reiz und machen es konstruktiv einzigartig. Jedes Umgebindehaus verfügt an einer der beiden Giebelseiten über eine in Blockbauweise errichtete, beheizbare Stube, traditionell der Arbeits- und Wohnbereich. Ihr steht meistens – getrennt durch einen Flur – an der anderen Giebelseite ein in Massivbauweise ausgeführter Teil mit Stallungen bzw. Lager gegenüber. Das Dach kann entweder diesem Erdgeschoss direkt oder aber auf ein in Fachwerk ausgeführtes Obergeschoss aufgesetzt sein. Fachwerkobergeschoss oder Dach ruhen auf einer rundbogenartigen Stützenkonstruktion: das sogenannte Umgebinde, dem der Gebäudetyp seinen Namen verdankt. Das Umgebinde steht in einem geringen Abstand vor der Blockstube, die als eigenständig eingestellte „Holzkiste“ nicht mit den übrigen Hausteilen verbunden ist.

Nirgendwo sonst haben sich so viele Umgebindehäuser erhalten wie in der Oberlausitz, was jedoch nicht bedeutet, dass sie in dieser Region auch entstanden sind. Umgebindebauten findet man man in diesem Dreiländereck genauso auf der tschechischen (Böhmen) und polnischen Seite (Schlesien). Auch in Bayern und im weiteren Alpenraum gibt es verwandte Architekturen. Das Rätsel ihrer Herkunft ist bis heute nicht gelöst. Es existieren keine Quellen, die Aufschluss darüber geben könnten. Zu vermuten ist, dass der Ursprung der Umgebindehäuser bis ins Mittelalter zurückreicht. Die frühesten datierten Bauteile von Umgebindehäusern in der Oberlausitz stammen aus dem 16. Jahrhundert. Im 18. und 19. Jahrhundert erlebten sie ihre Blütezeit. Umgebindehäuser entstanden vornehmlich aus Fichte und Kiefer und man verwendete Granit, Basalt oder Sandstein. Schiefer kam aus Thüringen, Böhmen und manchmal sogar aus England – als Ballast auf den Schiffen, die zuvor Weberwaren übers Meer brachten. In der Oberlausitz prosperierten die Tuchwebereien. Umgebindehäuser entstanden, je nach Bauherr, zum Beispiel als repräsentative Faktorenhäuser, bei denen das Obergeschoss auch zu Wohnzwecken genutzt wurde, als kleine Weberhäuser oder Bauernhäuser.

Über 6.000 Umgebindehäuser wurden in den 1990er-Jahren in Sachsen als Kulturdenkmale erfasst, davon befinden sich rund 4.700 im Landkreis Löbau-Zittau. Sie machen wohl 90% des damals angetroffenen Gesamtbestandes aus. Die sächsische Oberlausitz ist seit 2003 Teil des Umgebindelandes, ein Zusammenschluss von deutscher, polnischer und tschechischer Seite, der Projekte und Initiativen zur Erhaltung von Umgebindehäusern im Dreiländereck organisiert und durchführt. Baukultur kennt keine Grenzen.

Umgebindehaus Holznagel

Holznagel-Ausgabe zum Umgebindehaus - Bauernhaus des Jahres 2020

Umgebindehäuser in Großschönau © Stiftung Umgebindehaus, Arnd Matthes
Umgebindehaus, Obercunnersdorf © Stiftung Umgebindehaus, Arnd Matthes
Verfallendes Umgebindehaus in Obercunnersdorf © Interessengemeinschaft Bauernhaus, Julia Ricker

Die Interessengemeinschaft Bauernhaus ernannte 2020 das Umgebindehaus zum Bauernhaus des Jahres, weil wir den kulturhistorischen Wert und die Schutzbedürftigkeit dieses Kulturerbes über Sachsen hinaus in das Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen wollen. In den letzten 100 Jahren ging die Zahl der Umgebindehäuser in der Oberlausitz dramatisch zurück – Abbrüche, Umbauten und der Braunkohletagebau rissen Lücken in den historischen Bestand. Umso mehr gilt es, die noch erhaltenen Exemplare zu bewahren und zu pflegen. Denn die Auswirkungen des wirtschaftlichen und demografischen Wandels, von denen die Oberlausitz betroffen ist, sind auch für den Bestand der Umgebindehäuser spürbar.

Gemeinsam mit der Stiftung Umgebindehaus würdigte die Interessengemeinschaft Bauernhaus 2020 das Umgebindehaus. Zusammen wollen wir für die Bewahrung dieses regionalen Haustyps werben und viele Menschen für ihn begeistern. Die IgB freut sich über die Zusammenarbeit mit der Stiftung Umgebindehaus für die regionale Baukultur und die Kulturlandschaft. Dank des großen Engagements der Stiftung konnte eine immense Zahl an Umgebindehäusern schon gerettet werden, aber es warten immer noch rund 40% der Gebäude auf Instandsetzung. Als eine Art Hilfe zur Selbsthilfe berät die Stiftung seit 15 Jahren über Fördermöglichkeiten und gibt Praxistipps rund um die Sanierung, wobei sie besonders gelungene Projekte mit dem Umgebindehauspreis auszeichnet. Und nicht zuletzt mit dem Tag des offenen Umgebindehauses hat sie es außerdem geschafft, Architekturliebhaber aus der ganzen Welt für ihr regionales Kulturerbe zu gewinnen.

xxx © Stiftung Umgebindehaus, Arnd Matthes
Haus der Stiftung Umgebindehaus © Stiftung Umgebindehaus, Arnd Matthes
Blick auf Waltersdorf © Interessengemeinschaft Bauernhaus, Wolfgang Domeyer

Feierliche Würdigung

Weil die Festveranstaltung zum Umgebindehaus als Bauernhaus des Jahres mit unserer Frühjahrstagung im Mai 2020 wegen Corona leider ausfallen musste, fand die von langer Hand und mit viel Engagement geplante Feier mit Corona-Auflagen am 3. Oktober in Cunewalde bei Bautzen statt.

Besonders gefreut haben wir uns über die beiden Festredner – Wolfram Günther, Sachsens stellvertretender Ministerpräsident und Alf Furkert, der sächsische Landeskonservator –, die den Termin beide gerne wahrgenommen haben. Passend zum Tag der Deutschen Einheit waren IgB-Mitglieder aus ganz Deutschland zum Fest angereist sowie befreundete Umgebindehaus-Akteure aus der Oberlausitz – insbesondere die Vertreter der Stiftung Umgebindehaus, die 2020 Kooperationspartner der IgB für die Aktion Bauernhaus des Jahres ist. Außerdem dabei waren Mitglieder sächsischer Vereine und Verbände, die sich seit langem für die ländliche Kultur und Baukultur im Freistaat einsetzen. Im sonnigen Dreiseitenhof mit Umgebindehaus nutzen die rund 50 Gäste nach dem Festakt die Gelegenheit zum Kennenlernen und gemeinsamen Austausch.

Mit dem Umgebindehaus als Bauernhaus des Jahres hat die Interessengemeinschaft Bauernhaus ihre Anliegen und Ziele wieder ein Stück weiter ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen können und wir haben dazu beigetragen, das Umgebindehaus deutschlandweit bekannter zu machen – ein erster wichtiger Schritt dafür, dass auch die noch dem Verfall preisgegebenen Exemplare Besitzer finden, die sich ihrer Instandsetzung annehmen. Dass wir außerdem den Kontakt zur Stiftung Umgebindehaus nachhaltig besiegelt haben, freut uns ganz besonders.

Julia Ricker

Umgebindehausfeier in Cunewalde © Jens-Michael Bierke, Touristinfo Bautzen
Wolfram Günther (l.) und Alf Furkert © Jens-Michael Bierke, Tourist Info Bautzen
Umgebindehausfeier in Cunewalde © Jens-Michael Bierke, Touristinfo Bautzen

Die Festreden

Die rund 50 Gäste freuten sich nach einem von Cornelia Mitrasch vorgetragenen Mundartlied von Herbert Andert und der Begrüßung durch die beiden Vorsitzenden Hajo Meiborg (IgB) und Birgit Weber (Stiftung Umgebindehaus) sowie Thomas Martolock (Bürgermeister von Cunewalde) auf die Vorträge von Sachsens stellvertretendem Ministerpräsidenten Wolfram Günther und des sächsischen Landeskonservators Alf Furkert.

Landeskonservator Alf Furkert

Alf Furkert würdigte in seinem Grußwort zunächst die typische Konstruktionsweise des Umgebindehauses, das bis zu drei verschiedene, sonst separat auftretende Bauweisen vereint: Blockbau, Massivbau und Fachwerk. Dann stellte der oberste Denkmalpfleger des Freistaats die Nutzung von Denkmalen als ein vorrangiges Anliegen heraus. Nutzung statt Leerstand sei eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Gebäude dauerhaft bewahrt bleiben können. Leerstand, betont Furkert, gibt es nicht nur bei Schlössern und Herrenhäusern. Auch durch den Wandel von Industrie und Landwirtschaft seien viele baukulturelle Zeugnisse betroffen, weil sie keine Funktion mehr hätten.

Daneben sorgten in Sachsen der demographische Wandel und Strukturwandel für leerstehende Bauten. In der DDR-Zeit hätte man diese dagegen noch weitgehend belebt durch diverse Umnutzungen. Unter dem Strich sei die beste Denkmalerhaltung immer die Nutzung und Pflege, fasst er zusammen – selbst wenn Gebäude nicht perfekt saniert sind.

Stellvertretender Ministerpräsident Wolfram Günther

Wolfram Günther, Staatsminister für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft des Landes Sachsen, verwies in seiner Festrede auf die vielfältigen Bezüge, die sich für ihn an den Umgebindehäusern darstellen ließen. Mit Blick auf ihre Geschichte sagte er, dass sie nicht immer nur Bauernhäuser waren. Viele Bewohner gingen anderen Gewerken nach, waren zum Beispiel Leineweber. Die Mischung von Arbeiten und Wohnen prägte Dörfer über Jahrhunderte und so seien die Häuser auch baulicher Ausdruck einer regional organisierten Wirtschaftsweise. Ebenso wichtig seien weiträumige Beziehungen, zum Beispiel durch den Tuchhandel, der seit dem Mittelalter ein sehr internationales Geschäft war.

Die hellen und dunklen Schieferplatten, die Umgebindehaus-Dächer und -Giebel gleichermaßen verzieren, gibt es erst, seitdem die Oberlausitz durch die Eisenbahn erschlossen und Schiefer in großen Mengen importiert wurde. Regionaltypische Bauten wie die Umgebindehäuser stifteten Zusammenhalt und Identität – gerade dort, wo Menschen sich im Laufe der Geschichte immer wieder neuen Herausforderungen stellen müssten. „Es ist wichtig für uns, dass wir einen Halt finden, um mit den Brüchen in unseren Biographien umzugehen“, so der Staatsminister. Das Brauchtum könne so ein Halt sein, genauso wie die Baukultur. Dabei betont er aber, dass das, was unsere regionale Identität ausmacht, auch in anderen Gegenden vorkommen kann – so wie Umgebindehäuser auch in Polen und Tschechien sowie in Österreich, Kroatien und in der Slowakei stehen. Der historische Wert der Umgebindehäuser sei lange Zeit nur Insidern bekannt gewesen, fährt Günther fort. Denkmalschutz habe in der Bürgerbewegung der DDR in den 1980er Jahren eine Rolle gespielt: Initiativen begannen, gefährdete Häuser zu retten. Manche wurden zu einem Refugium für Dissidenten. Die Oppositionsbewegung, die am Zerfall der DDR einen entscheidenden Anteil hatte, entstand auch aus dem Verlusterlebnis an Gebäuden und ganzen Dörfern, die beispielsweise dem Braunkohletagebau weichen mussten.

Umgebindehäuser in Obercunnersdorf © Interessengemeinschaft Bauernhaus, Britta Meiborg
leerstehendes Haus in Obercunnersdorf © Interessengemeinschaft Bauernhaus, Julia Ricker

Bis in die Gegenwart fühlten sich Menschen von alten Häusern angezogen – so auch der gebürtige Leipziger selbst. Heute bewohnt er mit seiner Familie ein historisches Bauernhaus, das sie nach und nach und instandsetzen.Die Bewahrung regionaler Baukultur bedeutet für den Staatsminister auch Klimaschutz. Viele historische Zeugnisse, insbesondere die Umgebindehäuser, seien aus heimischen nach-wachsenden Rohstoffen errichtet, die aus heutiger Sicht eine optimale CO2-Bilanz aufweisen. Blockbohlenwände besitzen von Natur aus eine hervorragende Wärmedämmfähigkeit – traditionell war die Blockstube auch der einzige beheizte Raum im Haus und wurde zum Wohnen und zum Arbeiten genutzt. Um die aktuell gesetzten Klimaziele zu erreichen, müsste Holz in viel größerem Maß als bisher die Baustoffe Beton und Stahl ersetzen. Ökologische Baustoffe und Baustoffrecycling seien im Denkmalschutz wirklich nichts Neues – davon könne die Baubranche nur lernen, so Günther. Ein Umgebindehaus hinter Gabionenzaun und mit Steingarten sei kaum vorstellbar, schließt er seine Rede. Die von blühenden Gärten umgebenen Häuser als Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten sowie dörfliche Strukturen mit dem kleinteiligen Nebeneinander von ganz unterschiedlichen Nutzungen und Flächen seien sehr wertvoll für die Artenvielfalt.

Weitere Informationen über die Umgebindehäuser, ihre Bewahrung und Nutzung finden Sie bei der Stiftung Umgebindehaus: www.stiftung-umgebindehaus.de

Zum ausführlichen Stöbern lohnen auch die Internetseiten des Informationszentrums Umgebindehaus (IZU) an der Hochschule in Zittau/Görlitz. Hier können Sie in Form von 3-D-Animationen, Filmen und Bildergalerien auf eine virtuelle Entdeckungsreise durch die Umgebindehauslandschaft gehen und Sie erfahren dabei viel Wissenswertes, neue Forschungsergebnisse und über aktuelle Diplomarbeiten zu den Umgebindehäusern. www.umgebindehaus.hszg.de

Julia Ricker

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