Das Einhaus ist auch in anderen
Gegenden verbreitet und als regionaler Haustyp
bekannt. Traufseitig zur Straße gebaut, vereint es
in der Regel Wohnstube, Küche, Stall und Scheune unter seinem Dach – mit durchlaufendem First
–, wobei diese Bereiche in einzelnen, quergeteilten Zonen angeordnet sind. Manchmal steht das
Einhaus nicht allein und ist durch Querbauten für
weitere landwirtschaftliche Nutzungen zu einem
Drei- oder Vierseithof geschlossen. Typisch ist die
im schmalen Hof direkt vor dem Haus platzierte
Mistkaute.
2022 ernennt die IgB das Vogelsberger Einhaus zum Bauernhaus des Jahres und blickt damit auf die baulichen Merkmale, die gerade im Vogelsberg für das Einhaus charakteristisch sind – dort, wo der Haustyp mit seinen geologischen Bedingungen fest verwurzelt ist. Als größtes zusammenhängendes Vulkangebiet Mitteleuropas besitzt der Vogelsberg keine einzelnen in die Landschaft ragenden Vulkankegel, sondern er entstand aus Schichten sich überlappender Lavaströme unzähliger Vulkane. Sie bilden heute die unterschiedlichen Lagen von Basaltvorkommen und überdecken den Sandstein, der nur an wenigen Stellen am Rande des Gebietes zutage tritt. Auf dem Vulkangestein gründen die Dörfer des Vogelsberges, deren Einhäuser auch durch ihre Sockelzonen mit diesem verbunden sind. Die Natursteinsockel gelten als das charakteristische Element der Vogelsberger Einhäuser. Sie unterscheiden sich von Dorf zu Dorf, weil sie jeweils aus dem Vulkangestein – oder eben aus dem Sandstein – entstanden sind, den die Menschen in ihrer unmittelbaren Nähe abbauten. Genauso wie die Sockelzonen der Einhäuser, variieren in jedem Ort auch die Ausgestaltung des Fachwerks sowie die Verschalung der Gebäude.
Es sind gerade diese Architektur-Details, die das Vogelsberger Einhaus besonders machen. Mit dem Vogelsberger Einhaus als Bauernhaus des Jahres 2022 wollen wir auf diese feinen Nuancen aufmerksam machen und den Blick für manchmal unscheinbare Aspekte schärfen – gerade sie tragen zum baukulturellen Wert des Architekturtyps bei und müssen bewahrt werden.
Holznagel-Ausgabe zum Vogelsberger Einhaus - Bauernhaus des Jahres 2022
Etwa die Hälfte der Vogelsberger Einhäuser sind mittlerweile überformt: Ställe und Scheunen wurden oft massiv ausgebaut, häufig kamen Erker oder andere Anbauten hinzu, Dächer und Fassaden wurden verändert. Viele Natursteinsockel sind heute verputzt oder verklinkert und leiden meist unter enormen Frostschäden.
Im 19. Jahrhundert etablierte sich das quer geteilte Einhaus zur bestimmenden Hausform im oberen Vogelsberg. Der prozentuale Anteil dieses Haustyps am gesamten Baubestand steigt in der Region mit den Höhenmetern an: von etwa 58 % auf bis zu rund 85 % in den höchstgelegenen Orten. Es ist davon auszugehen, dass es um 1900 in den etwa 150 Dörfern und acht Städten (Randbereiche) des Vogelsbergs rund 8.000 Einhäuser gab. Die wesentliche Zerstörung der Bauernhäuser ist nicht den beiden Weltkriegen zuzuschreiben. Sie fand erst nach 1955 statt, als die Modernisierungswelle auch den Vogelsberg erfasste. Inzwischen dürften noch bis zu 6.000 Einhäuser erhalten sein, die, selbst wenn verschiedene An- und Umbauten getätigt wurden, 2 Der Holznagel 6 /2021 73 noch in ihrer Grundstruktur von vier bis fünf sogenannten Bünden erkennbar sind. Das heißt, dass die unterschiedlichen Hauszonen weiterhin unterscheidbar und unter einem Satteldach vereint sind.
Die Aktion „Bauernhaus des Jahres” führen wir im nächsten Jahr nicht wie bisher mit einem anderen Verein durch, sondern mit unseren IgB-Freundinnen und -Freunden aus dem Vogelsberg. Die Vogelsberger IgB-Mitglieder um Michael Ruhl (neue KS Herbstein) und Margarete Ridder (alte KS Lauterbach) sind seit Jahren ein fester Freundeskreis, der sich regelmäßig trifft und mit verschiedenen Aktionen – zum Beispiel zum Lehmbau oder beim Tag des offenen Denkmals – in der Region für unsere Anliegen wirkt. Als Architekt, der lange Zeit in der Dorferneuerung und -entwicklung gearbeitet und dabei 55 Ortschaften betreut hat, kennt Michael Ruhl die Vogelsberger Einhäuser vermutlich so gut wie kaum ein anderer. Für ihn müssen die Dörfer möglichst viel von ihren jeweils individuell gewachsenen Strukturen, den überlieferten Bauten und den ursprünglich verwendeten Baumaterialien behalten, wenn eine Belebung der Ortskerne gelingen soll. Mit dem Vogelsberger Einhaus als Bauernhaus des Jahres wollen wir gemeinsam diesem Anspruch weiter Nachdruck verleihen und noch mehr Bewusstsein dafür schaffen.
Unvergesslich bleibt für uns, die Organisatorinnen (Ulrike Bach, Gabriele Höppner und ich), das
Vorbereitungs-Treffen in diesem August, bei dem
uns Michael Ruhl fundierte Einblicke in Vogelsberger Einhäuser und ihre Landschaft gab, und
wir dabei das Muth-Haus von Hans und Ingeborg
Braunholz besichtigten. Außerdem wurden wir
in die lebendige Vogelsberger IgB-Runde aufgenommen und erinnern uns sehr gerne an den
gemütlichen Abschlussabend beim Einhaus von
Christiane Pflug mit Schweizer Raclette und eigens kreiertem „IgB-Kuchen“.
Wir freuen uns auf ein Wiedersehen vom 22. bis
24. April 2022, wenn die IgB ihr Frühjahrstreffen
mit der Proklamation des Vogelsberger Einhauses zum Bauernhaus des Jahres verbinden wird.
Alle IgB-Mitglieder sind herzlich eingeladen und
dürfen gespannt sein auf die reizvolle Vogelsberger Landschaft, die Einhäuser und die Menschen,
die damit verbunden sind.
Nachdem die IgB bereits Spreewaldhaus, Jurahaus, Umgebindehaus und Haubarg als Bauernhaus des Jahres gewürdigt hat, wird es 2022
darum gehen, das Vogelsberger Einhaus und seine baulichen Besonderheiten deutschlandweit
bekannter zu machen. Wir wollen damit mehr
Interesse und mehr Wertschätzung für regionaltypische Architektur erreichen. Beim Vogelsberger Einhaus sind in der Zukunft weiter kluge
Konzepte für schonende Instandsetzungen und
nachhaltige Nutzungen gefragt, die insbesondere auch junge Leute ansprechen.
Julia Ricker
Ruhl, Michael / Schnarr, Karl-Dieter: Bauen im ländlichen Raum. Grundlagen zur Dorfentwicklung in Hessen, hrsg. v. Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Wiesbaden 2018
Die Festveranstaltung fand am 24. April 2022 im Pfarrhof von Hopfmannsfeld statt. Nach der Begrüßung durch den IgB-Bundesvorsitzenden Hajo Meiborg und den Ersten Kreisbeigeordneten Dr. Jens Mischak, der auch die Grüße vom erkrankten Lautertaler Bürgermeister Dieter Schäfer ausrichtete, freuten sich die rund 100 Gäste - IgB-Mitglieder aus ganz Deutschland sowie Interessierte aus der Region auf die Festreden und das musikalische Programm des Schlagwerkers Olaf Pyras mit seiner eigens für das Vogelsberger Einhaus kreierten Komposition.
Mal wieder in den schönen Vogelsberg reisen, Bekannte treffen, bisher unbekannte Menschen kennenlernen. Und etwas zu Denkmalschutz und Denkmalpflege in Hessen sagen, „das tue ich natürlich sehr gerne“, stieg Dr. Verena Jakobi, Landeskonservatorin und Abteilungsleiterin Bau- und Kunstdenkmalpflege im Landesamt für Denkmalpflege Hessen, in ihre Festrede im Hopfmannsfelder Pfarrhof ein. „Ich freue mich außerordentlich, dass das Vogelsberger Einhaus das Bauernhaus des Jahres 2022 geworden ist“, so Dr. Jakobi. Denn diese Proklamation gehe mit einer guten Öffentlichkeitsarbeit einher. DER HOLZNAGEL habe sich der besonderen Kultur- und Denkmallandschaft des Vogelsbergs eingehend gewidmet und deutlich gemacht, dass der Vogelsberg eine wichtige Denkmallandschaft sei. Siedlungsstrukturen der Dörfer, das Fachwerk, die Verkleidung, die Dachdeckungen, aber auch die Formen bäuerlicher Höfe spielten eine große Rolle.
Dr. Jakobi verwies auf die Publikation der Autoren Reinhard Reuter und Christoph Beck, „Dörfer in Hessen“, in denen das Vogelsberger Einhaus besonders gewürdigt und die Bezeichnung „Ein hof“ für die kompakte, in einem Akt entstandene Bauform benutzt werde. Die Hausform, in der Wohnhaus, Stall und Scheune tatsächlich unter einem Dach zu finden sind, gelte heute als die Vogelsberger Hausform schlechthin, sagte sie. Hier sei der sparsamste Umgang mit dem Baumaterial dokumentiert, heute würde man dem Haus zusätzlich auch eine sehr energiesparende Bauweise bescheinigen. Die über Jahrhunderte hinweg bewährte Funktionalität und die heimattypische, regionale Bauform seien Gründe dafür, dass diese auch noch im 20. Jahrhundert gebaut wurde. Dr. Jakobi kann das sogar durch eigene Forschungen belegen. „Ich habe mich in meiner Doktorarbeit mit der Heimatschutzbewegung und dem planmäßig angelegten Bauerndorf im Deutschen Reich zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigt. Der Einhof ist bei allen sieben von mir untersuchten Dörfern – gerade bei kleineren Landwirtschaften – ein rege genutzter Bautyp“, sagte sie.
Klimaschutz – das Thema dieser Zeit. „2017 von der Hessischen Landesregierung mit dem Integrierten Klimaschutzplan Hessen 2025 beschlossen, will das Bundesland bis 2045 klimaneutral sein“, so Dr. Jakobi. Im Koalitionsvertrag sei die Dringlichkeit beschrieben, Strategien für Energieeffizienz und Klimaschutz im Gebäudebestand zu finden und die Energieberatung mit besonderem Schwerpunkt Gebäudesanierung zu verstärken. Klimaschutz und Sicherstellung einer autarken und klimaneutralen Energieversorgung würden, spätestens seit dem Ukraine-Krieg, auch als wesentliche Aspekte der nationalen Sicherheit betrachtet.
„Der Denkmalschutz wird bereits als ein wesentlicher Teil des Klimaschutzes betrachtet. Die Energiewende muss daher immer mit Rücksicht auf die wertvollen und einzigartigen Bau- und Gartendenkmäler geplant werden. Kulturdenkmäler können durchaus energetisch ertüchtigt werden“, so Dr. Jakobi, die den methodischen Ansatz der Renovierungswelle, Renovation Wave of Europe, als Teil des European Green Deal als „äußerst kritisch“ betrachtet. „Sie zielt ausschließlich auf die betriebliche Energieeffizienz und auf die Gebäudehülle ab und sieht bislang keine Ausnahmen für Kulturdenkmäler vor. Kulturdenkmäler können hier im Vergleich zu Niedrigenergiehäusern natürlich meist nicht mithalten“, so die Landeskonservatorin. Damit teilt sie die Haltung der IgB, die ihre Stellungnahme zur EU-Renovierungswelle im Februar 2021 bei der EU sowie bei den Entscheidungstragenden auf Bundes- und Landesebenen eingereicht hat.
Normierungen in Denkmalschutz und Denkmalpflege nannte sie „gefährlich“, da jedes Kulturdenkmal als Individuum betrachtet und hinsichtlich seiner Substanz, seiner Leistungsfähigkeit voruntersucht werden müsse. Es brauche eine den Gebäuden angepasste Kombination aus Dämmung, Haustechnik, erneuerbaren Energien. Die Graue Energie eines Gebäudes müsse in die Gesamt-Energiebilanz (also den gesamten Lebenszyklus von der Herstellung bis zum Rückbau) einfließen, Kulturdenkmäler stünden dann gleich ganz anders da.
„Als natürliche Ressource leisten sie per se einen aktiven, positiven Beitrag zur Ressourcenschonung. Sie speichern darüberhinausgehend auch einen ganzen Wissensschatz: Über Jahrhunderte bewährte Bau- und Handwerkstechniken, historische Materialien und Materialkombinationen, aber besonders auch bewährte Praktiken der Reparatur, der Ergänzung und des Austauschs – auch der Klimaanpassung, denn die Häuser waren auf Langlebigkeit ausgerichtet. Sie sollten viele Generationen lang überdauern“, erläuterte Dr. Jakobi. Die Denkmalpflege könne als Vorbild den Weg von einer Abreiß- und Neubaugesellschaft hin zu einer Reparaturgesellschaft ebnen. Sie könne nicht nur VOR Zerstörung schützen, sondern sich auch FÜR den Erhalt einer differenzierten und vielfältigen Baukultur, lebendige Kulturlandschaften, ein gutes Leben auf dem Land und eine vielfältige Urbanität einsetzen. Denkmalpflege dürfe nicht nur zurückschauen, müsse gerüstet sein, Anschluss finden an Inhalt, Richtung und Tempo gesellschaftlicher, ökonomischer und kultureller Entwicklungen. „Die Debatten darüber müssen aktiv und offensiv angestoßen und gemeinsam mit Politik und Verwaltung, besonders aber allen gesellschaftlichen Gruppen, Initiativen und Institutionen diskutiert und beraten werden. Nur dann werden wir gemeinsam gute zukunftsfähige und nachhaltige Lösungen finden“, sagte Dr. Verena Jakobi abschließend und gratulierte dem Vogelsberg und seinen Menschen zu ihrem Einhaus, dem Bauernhaus des Jahres 2022.
Diana Wetzestein, IgB
Stehende Ovationen bekam Prof. Dr. Karl-August Helfenbein, ehemaliger Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Gießen und Experte für die Lauterbacher Stadtgeschichte, bereits für seinen Vortrag am Vorabend der Festveranstaltung im Kolping-Feriendorf, wo die IgB-Mitglieder am Samstag tagten. Der 93-jährige Prof. Helfenbein war für Till Hartmann eingesprungen, der wegen einer Erkrankung musste Herr Hartmann kurzfristig absagen musste. Helfenbein schlug einen weiten Bogen vom Nebenerwerb der Bauern, über die Baumarten des Vogelsberges, die Fachwerkkirchen, von denen auch Umsetzungen bekannt sind, bis hin zu den ausgezeichneten Zimmerleuten und Maurern, die oft als „Hessengänger“ ins Ruhrgebiet gingen und mit neuen Erkenntnissen für den Bau zurückkamen. In Anspielung auf Günter Grass und im Gegensatz zur Monotonie des Alltäglichen stellte er fest, dass man beim Anblick von Fachwerk eben nicht „mystisch-barbarisch-gelangweilt“ wäre. Und noch ein paar sinnvolle „Anspielungen“ zu den Häusern des Vogelbergs:
• Das Haus ist nicht nur etwas Physisches, sondern auch etwas Metaphysisches
• Begrenzt ist die Baulichkeit des Vogelsberges, unbegrenzt die Variabilität des Fachwerks
• Das Haus formt auch den Menschen, der es gebaut hat
• Das Einhaus zeigt die Verbindung zwischen Mensch und Vieh und Landschaft
• Steinbau ist die Antithese zum Fachwerk Seine Aussage „Symbole geben Sicherheit“ war dann schon fast ein Vorgriff auf seinen planmäßigen Vortrag im Rahmen der Festveranstaltung am Sonntag.
Beide Vorträge hat er in einem Artikel für die Oberhessische Zeitung vom 17.5.2022 zusammengefasst. hier lesen...
Bernd Froehlich