Von anderer Seite heißt es immer wieder: „Saniert einen Altbau, das ist nachhaltig“. Wer bereits einen Altbau sanieren durfte, weiß, dass – will man dem Gebäude Gutes tun – vieles unbedingt raus muss, das in den vergangenen 150 Jahren verbaut wurde, weil darunter z.B. die Balken faulen. Will man wirklich nachhaltig sanieren oder sogar schon in der Bauphase CO2-positiv werden, muss man sich häufig selbst Hintergrundwissen und Handwerkstechniken aneignen, weil die wenigen auf nachhaltiges Bauen spezialisierten Fachbetriebe oft auf Jahre ausgebucht sind.
Die einzig sinnvolle
Herangehensweise bei Sanierung darf meines Erachtens nur sein, auf
den CO2-Fußabdruck der Materialien zu schauen, die man verbauen
will. Hierbei muss man unbedingt auch die Graue Energie und die
wahrscheinlichen Entsorgungskosten mit einpreisen. Entsorgungskosten
lassen sich z.B. verringern, wenn die Bestandteile später ordentlich
rückgebaut werden können, das heißt, dass sich die Baustoffe
einfach voneinander trennen lassen. Auf künstliche Verklebungen
aller Art sollte verzichtet werden. Viele Baustoffe lassen sich mit
Lehm oder Kalkmörtel, Kasein- und anderen Naturleimen ausreichend
fest verbinden.
Bei vielen vermeintlich ökologischen Baumaterialien lohnt es sich ebenfalls, genauer hinzuschauen. So enthalten Dämmmatten aus Hanffasern oder Schafwolle oft künstliche Stützfasern. Nach dem geltenden Abfallbeseitigungsgesetz sind geringe Fremdstoffanteile bei sortenreiner Entsorgung zwar kein Problem, aber ob „rechtens“ gleich „richtig“ ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Ich erlebe es aber selbst in „alternativen Kreisen“ immer wieder, wie Menschen von ihrem ökologisch sanierten Fachwerkhaus behaupten, dass es am Ende zu Kompost wird – ein beneidenswert vereinfachtes Problembewusstsein. Auch den verklärten Idealismus in allen Ehren, man wolle dem Klimawandel (durch Konsum!) entgegenwirken. Denn auch die vor wenigen Jahren noch als „alternativ“ geltenden Baustoffe haben inzwischen eine Lobby und eine mächtige Industrie, die dahintersteckt.
Reduzieren wir doch einfach unseren Beitrag zu Umweltzerstörung und Klimawandel! Die oberste Devise sollte deshalb sein, dass ausgewählte Materialien zu jeder Zeit möglichst wenig Auswirkungen auf die Umwelt haben, das heißt, dass sie während Gewinnung / Herstellung, Transport, im eingebauten Zustand, beim Ausbau, der Entsorgung und auch darüber hinaus der Umwelt möglichst nicht schaden. Man darf sich hier beruhigt an der Baustoffauswahl aus der Hochzeit der Fachwerkhäuser orientieren, die sich über Jahrhunderte nahezu unverändert beweisen konnte. Nutzt man für die Sanierung schnell nachwachsende Materialien wie Hanfschäben oder Weidenruten, ist die Wirkung schnell klimapositiv. Genau auf die Bilanz geachtet werden sollte jedoch, wenn der Maßnahme Rückbau und Entsorgung vorangehen oder ein energieintensives Bindemittel wie Kalk eingesetzt wird.
Bei der Auswahl der Baumaterialien ist darauf zu achten, dass sie nicht technisch getrocknet wurden. Sie erscheinen auf den ersten Blick oft unauffällig. Lehmsteine werden beispielsweise häufig nicht, wie einst in Ziegeleien üblich, monatelang in Trockenregalen getrocknet, sondern in gasbefeuerten Tunnelöfen. Gleiches gilt für in Pulverform erhältliche Lehmmörtel. Die Vortrocknung erfolgt i.d.R. mittels Filterpressen. Bei Konstruktionshölzern werden Trockenkammern oft mit der Abwärme von der Verbrennung der Abfälle vom Entrinden, Sägen und Hobeln betrieben – so viel zur vermeintlichen Kohlenstoffsenke Holzhaus.
Schilfmatten werden oft im Bereich von Fachwerkbalken als ökologisch erscheinende Putzträger genutzt. In der DDR waren sie statt mit Draht mit einer Kunststoffsehne verwoben. Derartige Produkte werden heute noch im Internet als „hochwertiger“ beworben. Gips, der im Innenausbau gern Verwendung fand und der eigentlich wieder aufbereitet und somit zurückgewonnen werden kann, ist am Ende untrennbar mit den Halmen verbunden und somit Abfall.
Lehmbauplatten enthalten häufig Armierungsgewebe aus Glasfaser oder Kunststoff. Manche Hersteller benutzen Jute1 oder Leinen. Dämmmatten aus Hanf oder Wolle enthalten oft Stützfasern aus Kunststoff, die beim Zersetzen zur Gefahr für Singvögel2,3oder in Form von Mikro- und Nanoplastik für viele weitere Lebewesen, inkl. uns Menschen, werden kann.
Holzweichfaser und
Zellulose sind als Dämmung in aller Regel mit Brandschutzmitteln
behandelt. Hierzu werden die Fasern/Flocken mit einem mineralischen
Additiv versetzt, das häufig Borsäure enthält4.
Borsäure gilt als stark trinkwassergefährdend und
reproduktionstoxisch. Andere Flammschutzmittel enthalten
Ammoniumsulfat, das bei Brandeinwirkung zu Schwefel- und
Phosphorsäure reagiert. Viele Produkte enthalten Paraffin und
Kunstharze als Bindemittel5,6.
Im Schadens- und Brandfall ist also die Umweltgefährdung lediglich
eine andere als bei reinen Hochleistungsdämmstoffen wie EPS und PUR,
aber nicht weniger gefährlich.
Die Entsorgung ist meist kostspielig, obwohl die Hersteller angeben, Holzfaser sei wie Altholz der Klasse A II zu entsorgen. Die großen Entsorger sehen hierin allerdings einen „Dämmstoff“. Damit steht Holzfaser auf einer Stufe mit Styropor und Mineralwolle7.
Viel Rückgebautes landet so am Ende auf der Deponie8 oder teils in der Atmosphäre und teils im Untertage-Versatz9, da beim Einbau nicht daran gedacht wurde, dass die verwendeten Materialien auch ordentlich rückbaubar, d. h. trennbar miteinander verbunden werden.10
Selbst wenn auf biologische Abbaubarkeit bei der Auswahl der Baustoffe geachtet wird, kann schon eine Schicht Klebstoff oder Armierung am Ende ausschlaggebend dafür sein, ob das komplette Bauelement die Anforderungen an Rückbaufähigkeit und damit Recyclingfähigkeit / sortenreine Entsorgung erfüllt.
Ein wichtiger und häufig nicht bedachter Punkt: Selbst wenn die Umweltfreundlichkeit durch die Trennbarkeit der Baustoffe gegeben ist, sind meist weite Strecken für Transporte zu Recycling-Zentren oder Deponien zurückzulegen.
Wie man es auch
betrachtet und dabei dreht und wendet: Haussanierung kann nur maximal
eine Kohlenstoffsenke sein und so die Klimakatastrophe hinauszögern.
Egal, mit wie viel Bedacht wir es angehen: Unser Konsum wird Spuren
hinterlassen, sei es durch CO2-Ausstoß oder ganz unmittelbar durch
unverwertbare Abfälle, die sich zwar immer weiter zersetzen, aber
niemals ganz weg sein werden. Aus den Augen, aus dem Sinn. Die
Blindheit der Menschen ist einfach paradox: Deponierung oder
„thermische Verwertung“ zerstören Lebensgrundlagen, bloß
idealerweise andernorts und möglichst zeitlich verzögert. Das
Engagement für eine bessere, das heißt müllreduzierte Zukunft,
lässt zu wünschen übrig. Jeder ist sich selbst der Nächste.
Seit mehr als zwei Jahrhunderten beutet der Mensch den Planeten nun ohne Verstand aus und formt ihn nach seinen Vorstellungen ohne Rücksicht auf die Natur. Es gibt so gut wie keinen Flecken in Europa, der noch unbeeinträchtigt ist. Überall trifft man auf Hinterlassenschaften des seit Generationen immer stärker ausufernden Kapitalismus. Wäre es in Anbetracht dessen nicht schlüssig, dass jede jeweilige Folgegeneration aus den Fehlern der Vergangenheit lernt? Stattdessen wird der Mensch nicht müde, dieselben Fehler immer wieder zu machen.
1Jute stammt aus tropischen Anbaugebieten
2Einwachsen und Strangulation; tödliche Verstopfung bei Aufnahme über die Nahrung
3www.bund-wesel.de/plastik/voegel-entdecken-neue-baumaterialien-plastikmuell-in-vogelnestern/
4www.enbausa.de/daemmung/aktuelles/artikel/bor-bleibt-brandschutzmittel-fuer-zellulose-daemmung-5091.html
5„Inhaltsstoffe: […] 4,0 % PUR-Harz, 1,5 % Paraffin“; https://shop.gutex.de/GUTEX-Thermowall/10268
6„Einsatzstoffe: Holzfaser, PUR-Harz, Paraffin“; www.steico.com/de/produkte/daemmung/daemmsysteme-dach/unterdeckplatten/steicouniversal-dry
7www.remondis-entsorgung.de/abfallarten/daemmstoffe/
8https://de.statista.com/statistik/daten/studie/927102/umfrage/bauabfaelle-jaehrliche-menge-in-deutschland
9In ehemaligen Kali- und Salzbergwerken werden u.a. verfestigte Filterstäube aus Müllverbrennungsanlagen „verwertet“; hiervon fallen in Deutschland jährlich etwa 50 Millionen Tonnen an.
10Alle Internetseiten wurden am 23.05.2023 abgerufen
Marcel Henschel, IgB