Auf Warften gebaut und von Graften
umgeben, stehen sie nicht direkt an den Straßen. Sie wirken zwischen
weidenden Kühen und Schafen wie in die Landschaft gestreut. Haubarge
sind imposante Architekturen. Ihre mit Reet gedeckten Dächer können
eine Gesamtfläche von bis zu 1.400 Quadratmetern erreichen und die
Firsthöhen bewegen sich zwischen 11 bis 17 Metern.
Konstruiert sind Haubarge über einem Vierkant, der aus vier bis zu zehn Ständern bestehen kann. Sie sind durch hochgelegene Ankerbalken verbunden und ruhen auf einem Feldstein als Fundament. Das verbaute Holz kam häufig aus Skandinavien, Pommern und Polen nach Eiderstedt. Die Konstruktion bildet ein Gerüst, das in sich stabil ist. Steht man im nach oben offenen Vierkant und blickt ins Dach, fühlt man sich an die Dimensionen einer Kathedrale erinnert. Die Reedächer der Haubarge beeindrucken durch ihre riesige Fläche. Und ihre Neigung von etwa 48° bis 50° führt dazu, dass das Regenwasser abfließt und nicht in das Reet eindringen kann.
In Nordfriesland – insbesondere auf
der rund 30 mal 15 Kilometer großen Halbinsel Eiderstedt – sind
die Haubarge heute deutschlandweit einzigartig. Dass sich der Bautyp
gerade hier so stark entwickelt hat, lässt sich auf seine Nutzung
und auf die Kulturlandschaft zurückführen. Haubarge vereinen Stall,
Scheune und Wohnbereich unter einem Dach, wobei der überwiegende
Teil des Gebäudes den Tieren und der Ernte vorbehalten war. Mit
ihrer kompakten Bauweise finden sie Platz auf den Warften. Stall,
Tenne und Wohnbereich sind um den Vierkant angeordnet. Jeder Haubarg
ist dabei individuell aufgebaut. Als Idealtypus wird der
Vierständer-Haubarg betrachtet, der eine eher quadratische Form
aufweist. Die Bauten zeichnen sich außerdem durch einen kurzen First
und durch nach allen Seiten abgewalmte Dachflächen aus. Über der
Eingangstür sowie der über dem Stall- und Tennentor besitzen sie je
einen charakteristischen Giebel.
Um 1600 bis etwa 1870 war die Zeit der Haubarge auf Eiderstedt, die mit der Einwanderung niederländischer Deichbauer einsetzte. Zu unterschiedlichen Zeiten zugewandert, rangen sie das Land schon seit dem 12. Jahrhundert nach und nach dem Meer ab und machten es für den Getreideanbau urbar. Die heutige Halbinsel Eiderstedt entwickelten sie so über die Jahrhunderte durch Eindeichungen und Landgewinnung aus den drei ursprünglichen Inseln Utholm, Evershop und Eiderstedt. Mit der Verlandung entstanden fruchtbare Marschböden, die große Ernten hervorbrachten. Und die Haubarge boten viel Platz für die Lagerung. Noch heute gibt es in Nordholland verwandte Haubargtypen, die von diesen Beziehungen zeugen.
Ab etwa 1900 – insbesondere in den 1950er
und 60er Jahren – verschwanden viele Haubarge, die durch andere
bäuerliche Zweckbauten ersetzt wurden. Dazu erfasste in den 1970er
Jahren eine Modernisierungswelle die Gebäude der Halbinsel: Neue
Fenster und Türen sowie Blechdächer ersetzten oft alte Substanz.
Aber schon Mitte der 1980er Jahre begann ein Umdenken, und
Haubarg-Besitzer fingen an, sich wirtschaftlich neu zu orientieren
und ihre Gebäude umzunutzen, damit sie die im Unterhalt und in den
Versicherungsleistungen – bei denen vor allem die Reetdächer zu
Buche schlagen – kostspieligen Bauten weiter erhalten können. Der
sanfte Tourismus zog damals ein auf Eiderstedt, und er hat sich bis
heute erfolgreich entwickelt.
Derzeit existieren von ehemals 400 noch
ca. 70 Haubarge. Dazu kommen weitere Gebäude, in denen noch das
Innenständergerüst erhalten ist. Es ist also nur ein Bruchteil, der
bis heute erhalten blieb. Und der Sanierungsbedarf vieler Haubarge
ist groß, sodass man sich über diejenigen freuen kann, die gepflegt
und in guten Händen sind. Dies ist auch ein Verdienst der
Interessengemeinschaft Baupflege Nordfriesland & Dithmarschen e.
V., unser Partner für die Aktion Bauernhaus des Jahres 2021. Mit der
gemeinsamen Aktion setzten wir eine jahrzehntelange
freundschaftliche Verbundenheit und Kooperation fort, um sie
neu zu intensivieren. 1980 gegründet, wählte die
Interessengemeinschaft Baupflege ihren Namen und die gleichlautende
Kurzform IGB nicht zufällig. Von Beginn an gab es enge Kontakte
zwischen unseren beiden Vereinen, die sich teilweise sogar in
überschneidenden Mitgliedschaften zeigen. Außerdem war die
nordfriesische IGB schon immer eine Kontaktstelle der
Interessengemeinschaft Bauernhaus. Ihren Sitz mit Büro und Archiv
hat die Interessengemeinschaft Baupflege – die sich später noch in
das südlich angrenzende Dithmarschen ausdehnte – beim Nordfriisk
Instituut in Bredstedt.
Wie in unserer IgB sind Beratung und
Erfahrungsaustausch grundlegend unter den Mitgliedern. Desweiteren
bemüht sich der Verein um die Kartierung erhaltenswerter Gebäude.
Beliebt sind vor allem Veranstaltungen wie Führungen, Vorträge und
Exkursionen und Mitglieder erhalten seit 1981 mehrmals im Jahr die
Zeitschrift „Der Maueranker“. Die Interessengemeinschaft
Baupflege will durch gezielte Aufklärungsarbeit im Sinne der
Heimatpflege das öffentliche Bewusstsein für den Wert
landschaftstypischer Gebäude wecken und fördern. Sie gibt Anleitung
und Hilfe bei der Renovierung und Umnutzung alter Gebäude und wirkt
darauf ein, dass landschaftstypische Bauformen in der modernen
Architektur berücksichtigt werden. Damit verbinden sich in unseren
beiden Vereinen die Anliegen, die 2021 im Haubarg als Bauernhaus des
Jahres Aufmerksamkeit erhalten sollten.
Beim Haubarg wird es in der Zukunft auch darum gehen, das wertvolle Vermächtnis an spätere Generationen zu übergeben, die das baukulturelle Erbe weiter pflegen, damit es nicht verloren geht – das schließt sowohl die Gebäude selbst als auch das umfangreiche, über Jahrzehnte zusammen-getragene Wissen über den Bautyp ein.
Julia Ricker
Nachdem sie wegen Corona zwei Mal verschoben werden musste, fand im September
2021 endlich die offizielle Würdigung
des Haubarges als „Bauernhaus des Jahres 2021” im „Roten Haubarg” in
Witzwort statt. Als Schirmherr konnte der Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein,
Daniel Günther, gewonnen werden. Der Landrat des Kreises Nordfriesland, Florian
Lorenzen, würdigte in seinem Grußwort das
Engagement der Interessengemeinschaft Baupflege sowie der Interessengemeinschaft Bauernhaus. „Was in den vergangenen 40 Jahren
geleistet wurde, kann sich sehen lassen", so der
Landrat, der zur Freude der Anwesenden 250.000 Euro für bauliche Maßnahmen sowie eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit der IG Baupflege in Aussicht stellte. Die Festvorträge hielten Prof. Dr. Ludwig Fischer,
emeritierter Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Hamburg und Haubarg-Experte, sowie Dr. Nils Meyer vom Landesdenkmalamt Hamburg.
Ludwig Fischer zog – mit kritischem Blick auf die
enormen Verluste in den vergangenen 200 Jahren – eine denkmalpflegerische Bilanz der 1980er
Jahre bis in die Gegenwart. „Heute gibt es noch
etwa 70 Haubarge auf Eiderstedt, um 1830 waren
es etwa 350”, so Fischer, der die geschichtlichen
Hintergründe für den Wechsel in der regionalen
Bauweise und den damit verbundenen Verlust
an der einst typischen Hausform Haubarg erläuterte. Diese entstand – durch die Beziehungen
zu Holland – als ein landwirtschaftlich geprägter und gleichzeitig sehr vielfältiger Haustyp mit
relativ kurzer Blütezeit. In der Mitte des 19. Jahrhunderts ging mit der Umstellung auf die Fettgräsung von Rindern die Getreidekonjunktur auf
Eiderstedt zu Ende. Damit wurden auch die großen Lagerkapazitäten der Haubarge überflüssig.
Allerdings seien Haubarge neben ihrem Zweck
als landwirtschaftliche Nutzgebäude immer auch
Spekulationsobjekte gewesen.
Fischer erläuterte anhand von drei konkreten Beispielen, wie unterschiedlich die Geschichte eines
Haubarges verlaufen konnte – je nach individueller Konstellation. Ein besonders großer Haubarg war der 1905 abgebrochene „Stuckshof” bei
Garding. Die ungewöhnlich reiche Ausstattung
spricht für wohlhabende Bauherren, allerdings
endete die Konjunktur für diesen Hof bereits in
Napoleonischer Zeit, und der 1775 errichtete
Haubarg muss schon um 1850 leer gestanden haben. „Solche großen Haubarge waren selten. Sie
hatten oft auswärtige Eigentümer und dienten
als Spekulationsobjekte”, resümierte Ludwig Fischer. Die meisten Haubarge dagegen waren Teil
mittelgroßer Betriebe und auf Selbstversorgung
ausgerichtet. Beispiele hiefür sind die Haubarge „Festers Hof" bei Tetenbüll mit einem Gerüst
von 1779 und der frei in der Marschlandschaft
stehende „Römerhof”, ebenfalls bei Tetenbüll.
Dieser wurde um 1720 erbaut, könnte laut einiger
Details aber aus dem 17. Jahrhundert stammen.
Mit neuen Forschungsergebnissen zu Baualter
und Chronologie der Haubarge wartete Dr. Nils
Meyer auf. In seiner Zeit als Denkmalpfleger auf
Eiderstedt wurden zwischen 2017 und 2018 36
Haubarge dendrochronologisch untersucht. Der Haubarg „Hochbohm” in Kating etwa
wurde um 1600 auf einer alten Warft errichtet.
Der ursprüngliche 6-Ständer-Bau aus Eiche ist
später zum 8-Ständer-Bau erweitert worden. Insgesamt seien viele Haubarge in der Zeit um 1600
entstanden. Damals hatten niederländische Investoren in Norddeutschland Eindeichungen zur
Landgewinnung vorgenommen.
Hans-Georg Hostrup, Vorsitzender der IG Baupflege, dankte dem
„Schwesterverein” IgB für die
Würdigung des Haubargs als „Bauernhaus des
Jahres”. „Diese Auszeichnung strahlt über Nordfriesland hinaus, sie ist
eine gute Werbung für
unser Anliegen und hilft uns so bei der Unterhaltung der Gebäude”, so
Hostrup. Von diesen konnten die Exkursionsteilnehmer am
vorangegangenen Samstag einige besichtigen. Insgesamt vier
Stationen wurden innerhalb von vier Stunden
besucht, dazu zählte der Haubarg „Hochbohmin Kating, der Haubarg
„Hamkenshof” in Tetenbüll, der „Staatshof” in Tetenbüll sowie der
Haubarg „Trindamm”, ebenfalls Tetenbüll. Jedes Objekt wurde von den
Eigentümern vorgestellt und
durfte auch von innen besichtigt werden. Weiterführende Erläuterungen
hatte die Architektin Ellen Bauer in petto. Das Abendessen konnte
die Gruppe stilvoll im Herrenhaus Hoyerswort
genießen. Neben Einblicken in die Geschichte
der einzelnen Höfe und Gebäude wurden den
Exkursionsteilnehmern vielfältige kultur- und
wirtschaftsgeschichtliche Zusammenhänge vermittelt. Zudem stellten die
Eigentümer Einzelheiten zur Sanierung und Erhaltung ihrer Gebäude
mit den gewaltigen strohgedeckten Dachflächen
vor.
Haubarge sind Zeugen einer Wirtschaftsform, die
längst der Vergangenheit angehört. Jedoch sind
viele dieser baulichen Zeugnisse erhalten geblieben und machen den
besonderen kulturellen
Reichtum der Region Eiderstedt aus.
Christine Kohnke-Löbert