Um
den Fortbestand des seit langem leerstehenden und auf das Jahr 1800
zurückgehenden Kleinhempel-Hauses gab es in letzter Zeit erhebliches
Aufsehen: Einwohner, unter ihnen einige
IgB-Mitglieder, wollten verhindern, dass es abgerissen und an seiner
Stelle ein maximal großer Ferienwohnungs-Neubau durch Investoren
errichtet wird. In Holznagel 6|2019 erschien dazu folgender Artikel:
Abermals droht einem historischen Gebäude auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst der Abriss – einem ortstypischen, vor 1800 errichteten Wohngebäude. Die ehemalige Doppelbüdnerei gehört zu den Häusern, die jene Sturmflut von 1872, die bisher schwerste bekannte an der gesamtdeutschen Ostseeküste, überstanden haben. Damals ereigneten sich dramatische Szenen: In einer Novembernacht brach das Unglück über das kleine Fischer- und Seefahrerdorf herein. Die sturmgepeitschten Wellen des Saaler Boddens schlugen gegen die Fachwerkwände der Büdnerei und das Wasser stieg unaufhaltsam. Die Bewohner konnten sich in letzter Minute auf dem Dachboden des Hauses in Sicherheit bringen. Als der Morgen graute und das Wasser langsam wieder ablief, waren große Schäden erkennbar. Die Lehmgefache waren ausgespült, woraufhin die Außenwände später aufgemauert wurden. Innendecke und Stubenwände sind noch heute in Lehmbauweise vorzufinden. Über dem Eingang befindet sich die ehemalige Heuluke des ansonsten noch ununterbrochenen Schilfrohrdaches. Darüber hinaus verfügt das Haus über einzigartige Schmuckelemente, wie ornamentierte Fensterbänke, die originalen Giebelzeichen und eine verzierte Fassadengestaltung aus Ziegelsteinen, wie sie sonst nirgends im Ort zu finden sind.
2019 weht ein anderer Wind: Das Haus soll einem maximalgroßen Ferien-Neubau weichen, obwohl es zum Teil mehrbietende Interessenten gab und gibt, die den Erhalt des Hauses sichern würden. Den Abrissplänen des neuen Investors hatte die Gemeinde aus baurechtlichen Gründen widerstandslos zugestimmt.
Die Untere Denkmalschutzbehörde des Landkreises
Vorpommern-Rügen (in Grimmen) konnte für das alte Haus in der
ehemalige Künstlerkolonie, die für ihre Gäste mit dem Slogan „Ein
Dorf wie gemalt“ wirbt, keine Denkmalwürdigkeit feststellen. Ein
unabhängiger Fachgutachter hingegen schätzte das Haus eindeutig als
kultur- und baugeschichtlich wertvoll ein. Durch die Bündelung
örtlicher Kräfte traten immer weitreichendere Informationen
zutage, sodass auch seitens des teilweise neu zusammengesetzten
Gemeinderates eine erneute Prüfung, diesmal durch das
Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern
(mit Sitz in Schwerin), beantragt wurde. Wiederholt wurde das
Gebäude, diesmal „nach Aktenlage“ und ohne Ortstermin, für
„nicht schutzwürdig“ befunden, was die Genehmigung zum Abriss und zur
möglichen Maximalbebauung des Grundstücks zur Folge hat. Zu
vermuten ist, dass die chronisch unterbesetzten und dadurch
überlasteten Behörden juristische Auseinandersetzungen mit Investoren
vermeiden wollen, da sie sich, wie die jüngere Geschichte zeigt,
oftmals nicht gegen finanzstarke Kläger durchsetzen können. Der
Widerstand gegen diese Kapitulation mehrt sich allerdings.
Hochrangige Institutionen, wie die Staatlichen Kunstsammlungen
Dresden, engagieren sich in unserem Falle mit.
Denn außer dem besonders ortstypischen Gebäudekörper war eine
Bewohnerin lebendiges Beispiel der Verbindung, speziell dieses
Dorfes mit herausragenden Künstlerpersönlichkeiten ihrer
Zeit: Gertrud Kleinhempel (1875 –1948) – bedeutsame und
maßgebende Designpionierin. 1921 wurde sie nach Käthe Kollwitz
zur zweiten Professorin Preußens ernannt und gestaltete
zeitlebens nicht nur Papierarbeiten, Textil, Spielzeug, Schmuck,
Kleidung und Geschirr, sondern entwarf auch Möbel – eine
Männerdomäne zu dieser Zeit. Geboren in Leipzig, arbeitete sie
in Dresden (für die Deutschen Werkstätten Hellerau) und
München und unterrichtete in Bielefeld. Kleinhempel inspirierte
das Kunstgewerbe deutschlandweit und gilt als Vorreiterin der
Bauhaus-Künstlerinnen. Seit 1907 war sie Mitglied des Deutschen
Werkbundes, wie auch der Architekt und Designer Henry van de
Velde (1863-1957), der ihren klaren, sachlichen Stil lobte: „Das weiss
lackierte Schlaf-Zimmer von Frl. Kleinhempel ... gibt am besten den
Begriff des Umfanges, den ihr Talent erreichen kann, wieder ... An den
Schlaf-Zimmer-Möbeln kann niemand, so wie sie sind, etwas auszusetzen
finden. Ihr Reiz und ihre Einfachheit sind unleugbar“.
Wie von vielen Künstlerinnen ist auch das Vermächtnis von Gertrud Kleinhempel nach dem zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geraten. Sie lebte „nur“ von 1938 bis zu ihrem Tode in Ahrenshoop – aber gerade diese Jahresmarke des Nationalsozialismus spricht Bände innerhalb dieser besonderen Frauenbiografie. Namhafte Institutionen wie die bereits genannten Staatlichen Kunstsammlungen Dresden bemühen sich aktuell, dem unrechtmäßigen Vergessen entgegenzuwirken und die Sichtbarkeit von Frauen in Kunst und Gestaltung ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Der künstlerische Nachlass konnte kürzlich vom Kunstgewerbemuseum Dresden erworben werden und sucht nun nach einer Heimat bzw. einem Ausstellungsort. Welcher wäre dafür besser geeignet, als ihre letzte Wohnstatt in einer Gemeinde, die sich als Erbe einer Künstlerkolonie definiert?
Doch das „Kleinhempel-Haus“ ist weder das erste, noch das letzte, welches der Profitmaximierung Einzelner zum Opfer fällt. Die nächsten Bau- und Abrissgenehmigungen sind schon erteilt und auch die Nachbardörfer verlieren Jahr um Jahr wertvolle Kulturgüter und damit Gesicht, Gestalt und ihren guten Ruf. Für die gedeihliche Zukunft unserer Ostseegemeinden, sowohl hinsichtlich der Lebensqualität als auch aus touristischer Perspektive, müssen dringend die noch vorhandenen Gebäude systematisch und präventiv Schutzstatus erhalten. Dazu müssen Kommunen und Behörden in wohlwollender Zusammenarbeit den Ausverkauf der Regionen stoppen. Daher setzten wir einen Startpunkt und möchten auch die Menschen vor Ort, die Interessierten und Eingesessenen aufrufen, bei dieser Aufgabe aktiv mitzuwirken und sich gerne mit uns in Kontakt zu setzen. Weil jedes Engagement zählt, haben wir eine Petition gestartet, die unbedingt gezeichnet werden darf.
Svantje Pieper
In der Nacht vom 28.1.2022 brannte das Kleinhempel-Haus bis auf seine Grundmauern ab. Für die historisch gewachsene Struktur von Ahrenshoop ist die Zerstörung des Gebäudes ein starker Einschnitt. Der Ort hat sich als Künstlerkolonie seit der Zeit um 1900 einen Namen gemacht und zieht wegen seiner Geschichte und seinem historischen Baubestand als beliebtes Reiseziel viele Touristen an.
Einwohner von Ahrenshoop-Althagen, unter ihnen einige
IgB-Mitglieder, versuchten seit 2019 zu verhindern, dass das Kleinhempel-Haus abgerissen und an seiner
Stelle ein maximal großer Ferienwohnungs-Neubau durch Investoren
errichtet wird. Leider hatte die Gemeinde dem Abriss des Büdnerhauses
aus baurechtlichen Gründen schon einige Zeit zuvor zugestimmt.
Bei ihrem Engagement setzten
die einheimischen Akteure auf einen zugewandten Dialog und ihre
Überzeugungskraft gegenüber der Lokalpolitik und den
Denkmalbehörden – auch wenn diese entgegen gutachterlicher
Einschätzung leider
keine Anhaltspunkte dafür sahen, das Gebäude unter Denkmalschutz zu
stellen. Ebenso konnten die
Baukultur-Akteure das
Kunstgewerbemuseum in Dresden einschalten, das über den Nachlass von
Gertrud Kleinhempel verfügt. Deutschlandweit große Wirkung erfuhr
ihre online-Petition für die Erhaltung des Kleinhempel-Hauses mit
knapp 5.000 Unterschriften.
Wir von der IgB haben die Aktivitäten
unterstützt und begleitet und ein Regionaltreffen-Nord in
Prerow und Ahrenshoop im April 2020 geplant, zu dem sich rund 50 IgB-Mitglieder angemeldet hatten. Es sollte mit einer Baukultur-Tagung unserer KS Prerow/Darß
Museum in Prerow verbunden werden.
Gemeinsam wollten wir auf die für die Ostsee-Dörfer verheerende immobilienwirtschaftliche Entwicklung durch Abrisse alter Bausubstanz und Neubau aufmerksam machen und mit örtlichen Entscheidenden zukunftsweisende Lösungen diskutieren. Wegen der Pandemie konnte die Veranstaltung leider nicht stattfinden.
In der Zwischenzeit verkaufte der Investor – vermutlich beeinflusst durch die große, für ihn negative Resonanz und der Ablehnung seines Bauantrags – das Kleinhempel-Haus. Das Gebäude stand dann zwar wieder zum Verkauf, allerdings nun mit der Auflage, dass es erhalten und fachgerecht instandgesetzt werden muss. Im Sommer 2021 wurde im Bereich des leerstehenden Hauses schon zwei Mal Feuer gelegt. Im Januar 2022 konnten die herbeigerufenen 85 Feuerwehrleute den Brand nicht mehr stoppen. Es ist zu hoffen, dass die Polizei alle Hintergründe umfänglich aufklärt. Und es ist zu hoffen, dass durch den traurigen Verlust nun anderen baukulturellen Zeugnissen in Ahrenshoop und Umgebung – ob sie unter Denkmalschutz stehen oder nicht – der Ausverkauf erspart bleibt. Behörden und Bewohner sind jedenfalls nun in gutem Kontakt was den Fortbestand des historischen Baubestands und die Möglichkeiten seines nachhaltigen Schutzes angeht.
Julia Ricker
Tipp: Der Dokumentarfilm "Wem gehört mein Dorf", 2021 von Christoph Eder zeigt beispielhaft wie im historischen Badeort Göhren auf Rügen der immobilienwirtschaftliche Verwertungsdruck alte Bausubstanz und bisher unberührte Landschaft zerstört.