Quereinhaus Nordpfalz © Interessengemeinschaft Bauernhaus, Christine und Dennis Kraus

Naturverbundenes Leben in Nordost-Ungarn: was ein altes Haus uns gelehrt hat

Der Anfang der Geschichte 

Vor langer Zeit begegneten einander in Heidelberg eine Germanistikstudentin/Stipendiatin aus Ungarn und ein Physikstudent aus der Pfalz: das waren ich, Csilla, und mein jetziger/zukünftiger Mann Andreas. Nach ein paar Jahren haben wir gemeinsam überlegt, ob wir ein Haus haben könnten, an dem wir alles selbst entscheiden können. Wir wollten gemeinsam etwas auf die Beine stellen, uns gemeinsam engagieren. Und wir wollten naturnah wohnen, ohne Blätter unter den Bäumen wegräumen zu müssen, ohne zwischen Betonsteinen jedes Jahr mindestens dreimal „krätzle“ zu müssen. 

Da ich wegen meiner Eltern und aus Liebe zu meiner Sprache sowie aus Heimatverbundenheit immer wieder nach Ungarn muss und will und da die Grundstückpreise in Ungarn damals noch recht günstig waren, war es schnell klar, dass wir ein Haus in Ungarn kaufen. So zog ich mit Fahrrad und Zug los und erkundete eine Woche lang jeden Tag eine andere Gegend von unserem Komitat. Täglich ca. 40-60 km mit dem Fahrrad beim schönsten Septemberwetter. (Herrlich war es unterwegs die tiefblauen Schlehen zu knabbern und mich bei Bedarf am unterwegs gekauften Trinkjoghurt zu erquicken!) 

Ich fand ein paar Kandidaten, aber so richtig hat es noch nicht gezündet. Der letzte Tag kam. Das vorletzte Dorf. „Das sieht ja faszinierend aus!“: Storchennest vor dem Haus auf einer alten Tanne, idyllische Lage, abseits von der Straße, doch gut sichtbar – ich musste nicht lange überlegen. Kurze Absprache mit Andreas und wir haben es gekauft. Das Haus war eigentlich zum Abbruch gedacht, wir mussten nur für das Grundstück, das voll mit Obstbäumen war, zahlen. Unser Abenteuer hat begonnen!
Als angehende Finnischlehrerin kannte ich das finnische Wochenendhaus, das Mökki, und ich liebe das Leben in einem Mökki. Und irgendwie erinnert mich das Leben auf unserem Grundstück daran: man lebt in der Natur, naturverbunden, und genießt es, auch wenn das Haus nicht über allen Komfort verfügt, und man verbringt seine Ferien dort. An einem Mökki ist auch immer viel zu tun (Holz machen, Grundstück pflegen, die Gaben der Natur einmachen), und diese Art von Bewegung wird in Finnland ganz hoch geschätzt: hyötyliikunta – nutzbringende Bewegung, die auch unserer Gesundheit guttut. 

So sieht es bei uns aus 

Gleich nach dem Kauf konnten wir erreichen, dass unser Haus zum Baudenkmal erklärt wurde. Es ist in unserer Gegend das letzte, für diese Region (Sathmar) typische, original erhaltene kleinbäuerliche Haus. Bei seinem Bau wurden nur Naturmaterialen verwendet. Man nahm, was hier in der Umgebung zu finden war: gelben Sand vom Judenfriedhof, Eichen aus dem Wald rund um das Dorf, Lehm gibt es hier überall. Die knapp 40 cm dicken Mauern bestehen aus 14 x 30 cm großen getrockneten Lehmsteinen. Das Dach ist mit Schilf gedeckt. 

Das Haus besteht aus drei Räumen: Vorderstube, Pitvar (eine Art Eingangsraum, der früher als Küche gedient hat) und Hinterstube. Von drei Seiten wird das Haus von Holzsäulen umgeben, die das Gewicht des Daches tragen. Dieser Gang sowie der Boden im Haus sind aus gestampftem Lehm. Im Hausinnern sieht man die Deckenbalken und dazwischen die schönen breiten Bretter. Den Boden im Dachstuhl deckt eine dicke Lehmschicht, um die durchsickernden Regentropfen aufzufangen.

Quereinhaus Nordpfalz © Interessengemeinschaft Bauernhaus, Christine und Dennis Kraus
Quereinhaus Nordpfalz © Interessengemeinschaft Bauernhaus, Christine und Dennis Kraus
Quereinhaus Nordpfalz © Interessengemeinschaft Bauernhaus, Christine und Dennis Kraus

Zum Haus gehört ein 4200 m² großes Grundstück, das hauptsächlich mit historischen, in dieser Region typischen Obstbäumen bepflanzt ist. Durch das kontinentale Klima haben wir im Sommer meistens bis zu 35 Grad warm, oft (sehr) trocken, viel Sonnenschein, so können die Früchte sehr gut ausreifen. Es ist für uns ein willkommener Genuss, reife, sonnenwarme Früchte direkt vom Baum zu essen. (Ich kenne das vom Garten meiner Oma, als ich noch klein war: Er kam uns Kindern riesig vor und bot vom Frühling bis in den Oktober hinein allerlei Obst in Fülle, wie im Paradies. Wir konnten gar nicht alles essen bzw. verarbeiten.) Unser Garten hier hat zwar einen ganz anderen Charakter, ist aber ebenso ein herrlicher Rückzugsort für alle möglichen Lebewesen: Wir teilen ihn mit jeder Menge Schmetterlingen, Bienen, Vögeln, Eidechsen. Unser Prachtstück ist ein ca. 70 cm hoher Ameisenhügel. Da wir keine Spritz- und Düngemittel verwenden, lebt hier jeder frei und das Grundstück kann sich selbst regenerieren. 

Wo sind wir? 

Unser Dorf befindet sich im östlichsten Zipfel von Ungarn, 4 – 7 km entfernt sowohl von der ukrainischen als auch von der rumänischen Grenze. Das Dorf hat ca. 800 Einwohner. Es gibt wenige Großgrundbesitzer (und viele modernste Apfelplantagen; wir haben aber auch einen richtigen „Heidelbeerbaron“ im Dorf). Die Gegend ist seit Hunderten von Jahren berühmt für ihr Obst (Apfel, Zwetschgen, Walnuss, Sauerkirschen) und ihre wildreichen Wälder. Unser Dorf befindet sich am Rande der ungarischen großen Tiefebene, der Himmel ist ein riesiges Gewölbe und bei schönem Wetter sieht man in der Ferne die Karpaten. 

So weit sind wir jetzt 

Da wir erleben wollten, wie es ist, in einem alten Haus zu wohnen, dessen Alter man ihm wirklich ansehen kann und in dem man die Geschichte des Hauses spürt, haben wir uns entschieden, ganz sanft vorzugehen. Wir wollten möglichst alles selber machen, wir wollten alte Techniken erlernen. Wir wollten erleben, wie es ist, in einem Bauernhaus zu wohnen, wie in den Bauernhäusern im Museumsdorf meiner Heimatstadt. Wir wollten lernen, was man braucht, um so ein Haus zu erhalten. So haben wir 1998 das Dach komplett neu mit Schilf decken lassen, und seit der Zeit immer wieder selbst ausgebessert. Andreas hat durch alte Fachbücher über Schilfdachdecken viel Wissen und durch Ausprobieren viel Erfahrung gesammelt. Wir wollten im Haus den ursprünglichen Zustand wiederherstellen, so wie wir es von älteren Dorfbewohnern gehört und im Museumsdorf gesehen haben. Deswegen haben wir die nachträglich gebauten Schornsteine abgerissen und 2002 den ursprünglichen offenen Kamin im Dachstuhl über den Pitvar errichten lassen, sowie einen, für diese Region typischen Backofen (aus getrockneten Lehmziegeln) unten dran erbaut. Um die Feuchtigkeit in den Räumen zu reduzieren, haben wir die alten losen Putzteile und Kalkschichten von den Wänden entfernt, die Wände ausgebessert und gekalkt. Um mehr Räume zu bekommen, haben wir die alte Holzhütte von meiner Großtante aus meiner Heimatstadt zu uns transloziert und haben darin einen Lagerraum, eine Werkstatt, eine Komposttoilette und eine Badekabine eingerichtet – ab 2024 sind wir nämlich glückliche Besitzer eines schönen alten Badeofens (extra aus Deutschland mitgenommen/vom Onkel von Andreas vererbt bekommen). 

Das haben wir dabei (kennen- und schätzen) gelernt 

Lehmwände und Schilfdach auszubessern; zu kalken; Obst zu verarbeiten (Marmelade, Saft, Wein, Trockenfrüchte, Chips – wir experimentieren sogar mit einer eigenen Teemischung). Mit Senkrissen und niederer Decke zu leben (ein Haus ohne festes Fundament senkt sich ja leider mit der Zeit). Wie herrlich es sich an der Haut anfühlt, mit im holzbefeuerten Badeofen erwärmtem Wasser zu baden. Wie schön es ist, wenn im Frühling das ganze Dach von Wildbienen summt. Was für eine Wohltat es ist, beim Sturm ein Dach über dem Kopf zu haben, wohl wissend, dass es nicht fortfliegen kann (im Vergleich zu Ziegel- oder Wellblechdächern). Das Wichtigste jedoch ist wohl, dass unser Selbstvertrauen durch die hier verbrachte Zeit enorm gewachsen ist: Wir trauen uns viel mehr zu und wissen, dass es, um auch das Unmögliche zu meistern, mit dem ersten Schritt beginnt. Es ist immer wieder beeindruckend zu erleben, hier ganz zu uns, zur Ruhe kommen zu können. 

Worauf wir achten müssen 

Keine Lebensmittel im Haus über den Winter stehen zu lassen, außer im Einmachglas und in unserem besten Schrank; Mauselöcher sofort stopfen; das Dach muss dicht sein; die hintere Außenwand muss jedes Jahr gepflegt werden (ausgebessert und gekalkt). Besonders wichtig ist für uns geworden, auf die Work-Life-Balance zu achten, auf den entsprechenden Ausgleich mit hedonistischen Freuden, damit es am Ende nicht so aussieht, dass wir ständig nur schaffen. 

Pflege aus der Ferne – eine Fernbeziehung 

Ca. zehn Jahre lang haben meine Eltern das Grundstück aus 100 km Entfernung gepflegt (und sind für paar Tage immer wieder da gewesen), so konnten wir uns in unserem begrenzten Urlaub ganz um den Erhalt des Hauses kümmern. Da meine Eltern uns aus Altersgründen nicht mehr helfen können, haben wir danach mit Andreas acht Jahre lang den ganzen Sommer hier verbracht, um das Haus und das Grundstück voranzubringen. Da Andreas seit fünf Jahren nicht mehr so lang in Ungarn bleiben kann, habe ich es mir so eingerichtet, dass ich immer, wenn ich meine Eltern besuche, auch für eine bis vier Wochen nach Gacsály fahre und etwas am Haus oder auf dem Grundstück mache. Im September kommt dann Andreas dazu, manchmal auch im März. 

Dendrochronologische Datierung 

Da Andreas glücklicherweise Dendrochronologe ist, erarbeitete er sich eine Regionalchronologie, um das Haus datieren zu können. Es erwies sich jedoch als recht problematisch, da aus Geldmangel oft recht dünne Eichenbalken beim Bau verwendet wurden. Manche wurden auch zweitverwendet. Es hat ihm natürlich keine Ruhe gegeben, bis endlich das Erbauungsdatum stand: 1887. Zuerst wurde die Hinterstube mit dem Pitvar erbaut, die Vorderstube erst ca. 30 Jahre danach. Man sieht an einem großen Riss in der Hinterwand, dass der Anbau nicht richtig mit dem alten Teil verbunden wurde. Auch die Fenster und die Zimmertür sehen vorne jünger aus und haben einen anderen Stil. Unter ungarischen Verhältnissen zählt unser Haus in dieser Bauweise schon zu den alten Häusern. Ältere sieht man bei uns kaum oder nur stark verändert. Mich hat es lange fasziniert, wie sich die ungarischen Bauernhäuser in die Natur einfügen und auch in ihrem Verfall Teil der Natur bleiben. Kein Abfall bleibt. Alles schmilzt zurück in die Natur hinein. Ein Erdhügel und fertig (die Balken, Fenster, Türen werden ja schon früh entnommen und anderweitig verwendet). Ich finde das genial! Es befremdet mich immer noch, wenn ich nach Abbruch sonstiger Häuser die unbrauchbaren Trümmer aus Beton, Ziegel und Kunststoff auf der Erde sehe. 

Anstehende notwendige Maßnahmen bis Ende September 2025: 

Erdkabel bis zum Haus legen; das Schilfdach ausbessern, besonders den First; Hinterwand – Risse flicken und den unteren Teil der Mauer neu vermauern, ausbessern; Tornác mit Lehm auffüllen und glattstreichen; KÜR: als Raumteiler einen Bogen unter den offenen Kamin bauen. 

Wenn Ihr Zeit und Lust habt, mitzumachen oder uns in irgendeiner Form zu unterstützen, freuen wir uns über jeden Beitrag. Ihr seid bei uns jederzeit herzlich willkommen! Denkt bitte nur daran, Euch rechtzeitig (min. 1 Monat vorher) anzumelden, wir sind ja nicht immer in Ungarn.

Csilla Best

(Kontaktdaten in der Redaktion erfragen)