Wir, das sind Anja und Carsten Schmidt, wohnen in einem Umgebindehaus mit zwei Blockstuben. Vor unserem Einzug hatten wir beide nicht viel mit Umgebindehäusern zu tun. Doch als wir im Jahr 2007 für unsere inzwischen vierköpfige Familie auf der Suche nach einer größeren Wohnung oder eventuell einem Haus waren, kam uns nicht nur der Zufall zu Hilfe, sondern auch ein Umgebindehaus: Just zu diesem Zeitpunkt bot eine ältere Dame in der näheren Umgebung ihr Haus an und da wir ihr persönlich bekannt waren, zögerte sie nicht, es uns zu verkaufen.
Nachdem wir die Finanzierung auf die Beine gestellt hatten, stand dem Einzug bereits im September 2007 nichts im Wege. Eine großartige Sanierung stand definitiv erst einmal nicht auf dem Plan, stattdessen haben wir unser Leben im neuen alten Haus an unsere Möglichkeiten angepasst. Wir hatten uns vorgenommen, die obere Etage herzurichten und dann später die Blockstuben in Angriff zu nehmen. Nach und nach sind in der Zeit bis 2010 ein kinderfreundlicher Garten und im Anbau im Obergeschoss ein neues Bad sowie Küche und Wohnzimmer entstanden.
Da ich (Carsten) von 2006 bis 2008 bei der Hillerschen Villa e. V., einem soziokulturellen Projekt im heutigen Mehrgenerationenhaus „Hillersche Villa” im Bereich Notsicherung von Umgebindehäusern gearbeitet habe, konnte ich zumindest erahnen, was uns erwarten könnte. In dem Projekt haben wir mit Jugendlichen und Handwerkern an einigen Umgebindehäusern (z. B. in Eibau oder Hirschfelde) Sicherungsarbeiten durchgeführt, um deren weiteren Verfall zu stoppen. In den Jahren 2009 und 2010 konnten mit den Jugendlichen immer mal wieder Arbeiten an weiteren Umgebindehäusern durchgeführt werden. So wurden beispielsweise einige Vorarbeiten für das spätere Projekt „Pilgerhäusel in Hirschfelde” ausgeführt. Im Zuge dieser Arbeiten konnte ich viele Kontakte knüpfen und mir zudem sehr viel Wissen aneignen, welches mich ermutigte, als Vertreter der Hillerschen Villa e. V. der Projektgruppe Umgebindeland beizutreten. Hierdurch ergaben sich weitere Verbindungen, etwa zum Sächsischen Verein für Volksbauweise e. V., welchem ich 2010 beigetreten bin. Seit 2015 gehöre ich dem Vorstand an.
Im Zuge unserer Exkursionen haben wir sehr viele Baustellen sowie bereits sanierte Umgebindehäuser kennengelernt. Die riesige Vielfalt der Bauweisen und die Besonderheiten einzelner Umgebindehäuser faszinieren uns immer wieder und schärften natürlich auch den Blick für das eigene Haus.
Im Juni 2010 wurde unsere Tochter geboren, zu dieser Zeit waren wir noch fleißig am Ausbau des 1. Obergeschosses. Doch das Hochwasser am
7. August 2010 sollte vieles ändern, denn auch unser Haus war betroffen. Da der Anbau im Obergeschoss noch Baustelle war, mussten wir improvisieren. Zum Glück war die Blockstube relativ zeitnah wieder nutzbar. Wir sind sehr dankbar für die große Hilfe, die uns in dieser Situation zuteil wurde. Die Diakonie Löbau Zittau unterstützte uns, ebenso wie der Lions Club Zittau. Im Rahmen eines Sonderprogrammes, welches Betroffenen ohne Elementarschadenversicherung helfen sollte, erhielten wir für die Hochwaserschadensbeseitigung Fördergelder – Fluch und Segen zugleich, da man dabei zeitlich und mit der Auftragsvergabe gebunden ist.
Einen groben Plan für den Umbau hatten wir zwar schon vor dem Hochwasser überlegt, aber bei so einer Sanierung kommen doch immer wieder unvorhersehbare Dinge zum Vorschein. Beispielsweise gab es ebenso spannende wie kontroverse Diskussionen über meinen erdachten Heizungsplan, den ich am Ende aber durchsetzen konnte. Wir sind immer noch sehr zufrieden mit unserer Wandheizung in den Blockstuben. Die Schäden im Anbau (konstruktiv und vom Hochwasser) waren so groß, dass wir uns entschlossen, diesen zu einem Teil abzureißen und auf diese Weise die kleine Blockstube wieder freizulegen. Das möchten wir dieses Jahr in Angriff nehmen.
In unserem Haus stecken sehr viele Stunden Eigenleistung, wobei das Befreien der zwei Blockstuben von Tapeten und Farbschichten wahrscheinlich die meiste Zeit in Anspruch genommen hat. Dank der Hilfe von Verwandten, Freunden und Bekannten war ab und zu ein größerer Arbeitseinsatz möglich. Bei der Sanierung der Umgebindeständer auf der Wetterseite gab es 2011 leider eine böse Überraschung. Es zeigten sich Altschäden, die zusätzliche Kosten bedeuteten. Da unser knappes Budget so ziemlich aufgebraucht war, fragten wir bei der Stiftung Umgebindehaus nach weiteren Fördermöglichkeiten. Als deren Geschäftsstellenleiter Arnd Matthes zum Ortstermin kam, machten wir ihn auch auf unseren Dachstuhl aufmerksam. Denn bei vorangegangen Abrissarbeiten waren einige interessante Details zum Vorschein gekommen, die uns vermuten ließen, dass das angebliche Baujahr 1800 nicht korrekt ist. Arnd Matthes bestätigte dies.
Eine dendrochronologische Untersuchung im April 2013 brachte Klarheit: unser Haus wurde auf 1670 datiert! Das ursprünglich in Langständerbauweise mit einer Blockstube und wahrscheinlich einer Stallseite gebaute Umgebindehaus hat seine aktuelle, von außen sichtbare Erscheinungsform einem großen Um- und Ausbau aus der Zeit um 1800 zu verdanken. Über den genauen Aufbau des Vorgängerbaus und dessen Nutzung gibt es nur Vermutungen. So könnte über der alten (kleinen) Blockstube womöglich einmal eine Möbeltischlerwerkstatt bestanden haben. Beim Entkernen der Räume hatten wir entsprechende Hinweise gefunden. So waren die Deckenbalken ringsum mit einfacher Malerei bzw. Pinselstrichen verziert und an einigen Stellen hatten die Deckenbalken Fehlstellen, wahrscheinlich ist dort etwas befestigt gewesen. Zudem war die innere alte Lehmwandoberfläche stark verschmutzt und ölig.
Auch der Aufbau des Flur- und Treppenbereiches war beim Vorgängerbau komplett anders. So ist beim Entkernen die alte Auflagerstelle der Originaltreppe und genau an dieser Stelle im Deckenbalken eine Nut für Lehmstaken zum Vorschein gekommen, was auf eine Lehmwand hindeutet. Jetzt befindet sich hier eine Blockstubenwand.
Die Treppen lagen auf der Stallseite, denn die noch vorhandene Bodenklappe auf dem Dachboden befindet sich ebenfalls hier. An der Stelle der jetzigen Treppe lag sehr wahrscheinlich die frühere Schwarzküche, da Lehmwand und Balken an dieser Stelle von einer dicken Rußschicht überzogen waren. Auch der Zugang zu dem alten kleinen Keller lag mittig im Flur. Die linke Hausseite war vermutlich ein Stallbereich. Hier reichte die Fachwerkwand nicht bis ganz auf den Boden, sondern sie war auf Naturstein etwa einen Meter hoch gesetzt.
Um 1930 ist noch einmal eine Aufstockung der Abseite erfolgt, vermutlich um mehr Wohnraum sowie Platz für die damals hier beheimatete Schneiderei zu schaffen. Als wir das Haus 2007 übernahmen, war die große Blockstube durch Trennwände in eine komplette Wohnung unterteilt. Diese hatte aber schon längere Zeit leer gestanden. Wir haben beide Blockstuben komplett von allen Einbauten und Farbschichten befreit und auch die alten Fenster und Türen repariert und ergänzt. Ab Dezember 2012 konnten wir die Blockstuben wieder als Wohnraum nutzen.
Seit 2012 nehmen wir regelmäßig am „Tag des offenen Umgebindehauses” teil und konnten auf diese Weise viele Erkenntnisse weitergeben, aber auch viele Informationen sammeln. Aber auch an ganz normalen Tagen kam und kommt es vor, dass wir neugierige Besucher durch unser Haus führen.
Weil unser Geld und die Fördermittel für die Beseitigung der Hochwasserschäden nicht komplett reichten, mussten wir uns um einen Kredit bemühen. Diesen wählten wir so, dass wir eine weitere Baustelle im Haus angehen konnten, denn auch der Dachstuhl und das Dach mussten repariert bzw. erneuert werden. Hier gab es einige Undichtigkeiten und das Schüssel leeren bzw. Schnee schippen auf dem Dachboden wollten wir endlich hinter uns lassen. 2013 haben wir das Dach in Angriff genommen, wobei leider auch hier mehrere unvorhergesehene Probleme auf uns zugekommen sind. Die Schäden am „neuen“ Dachstuhl von 1800 waren so groß, dass dieser Teil komplett erneuert werden musste. Der Originaldachstuhl von 1670 konnte dagegen in großen Teilen erhalten bleiben.
Da zu diesem Zeitpunkt das Haus eingerüstet war, nutzten wir die Gelegenheit und beseitigten eine weitere Bausünde: Alle Gefache wurden von Zementputz befreit und auch hier kamen leider erhebliche Schäden zum Vorschein. Da die Aufarbeitung des Fachwerkes an dieser Stelle nicht eingeplant war, wurde die gesamte obere Etage erst einmal mit einer Unterspannbahn abgehangen und musste auf ihre Reparatur warten.
Die alten Fenster an den Giebelseiten des Daches waren so kaputt, dass eine Reparatur nicht möglich war. Hier konnte jedoch Ersatz gefunden und alten Fenstern eine neue Heimat geboten werden.
Die Raumaufteilung über der kleinen Blockstube war uns zu ungünstig, so dass wir uns entschieden, die Zwischenwand zu entfernen. Um dies zu ermöglichen, wurden der gesamte Deckenaufbau zum Dachgeschoss entfernt und eine neue Trennwand aus alten Deckenbalken eingebaut. In dem Zuge konnten die Deckenbalken auch wieder auf Ihr ursprüngliches Niveau gebracht werden. Der alte Lehm wurde zwischengelagert und für die neue Decke und auch die Zwischenwand wiederverwendet. Hier sind zwei Kinderzimmer mit Wandheizung entstanden und neue Holzkastenfenster eingebaut worden.
Bei der Renovierung des Treppenhauses kamen im oberen Flur beim Abschlagen einer Lehmputzschicht die originalen Putzstrukturen im Lehm zum Vorschein. Aber auch die Ruß-Schichten, welche bei Ihrer Entfernung eine erhebliche Verschmutzung verursachten. Bis Dezember 2016 waren die zwei Zimmer über der kleinen Blockstube hergerichtet und auch der Flur (ohne Anbau) soweit nutzbar, dass wir die Arbeiten etwas zurückfahren konnten, um uns mehr der Familie und anderen Dingen widmen zu können. Das Fachwerk ist in den darauf folgenden Jahren immer weiter instand gesetzt worden, wobei alle Arbeiten in Eigenleistung erfolgt sind. Es gibt immer noch einige Baustellen im und am Haus die uns noch weitere Jahre beschäftigen werden
Im Jahr 2019 kam dann die Interessengemeinschaft Bauernhaus wegen der Vorbereitungen zur Ernennung des Umgebindehauses zum Bauernhaus des Jahres 2020 auf uns zu. Da ich die IgB und den Holznagel kannte, war die Entscheidung schnell getroffen: Wir machen mit! So kam es zu einem ersten Kontakt mit der IgB auf dem Gierschdurfer Schissn „Jacobimarkt“. 2022 haben wir uns entschieden, in die IgB einzutreten und die Treffen immer gleich genutzt, um einen Kurzurlaub in den jeweiligen Regionen zu machen.
Aufgrund dieser Erfahrungen und der Tatsache, dass wir ohnehin immer wieder zu Umgebindehäusern angefragt werden, haben wir uns entschlossen, dies offiziell als Kontaktstelle zu tun. Vielleicht gelingt es uns, die IgB in unserer Region bekannter zu machen und neue Mitglieder zu gewinnen. Aktuell haben wir den Eindruck, dass sich wieder vermehrt junge Familien für die Umgebindehäuser interessieren und aufs Land ziehen möchten. Zum Tag des offenen Umgebindehauses werden wir die Interessengemeinschaft Bauernhaus vorstellen.