Vor 20 Jahren haben wir die Oedmühle entdeckt und diese von Grund auf saniert. Als junge Familie mit zwei kleinen Jungs (0 und 3 Jahre) hatten wir ein Häuschen in der fränkischen Schweiz gesucht, wo sie am Wochenende spielen können. Mein Mann und ich waren beide selbstständig und leiteten zusammen eine Marketing-Agentur. Wir hatten keine Zeit. Wir hatten keine handwerkliche Erfahrung (d.h. ich im Schneidern). Wir hatten kein Denkmal gesucht – es hat uns gefunden: Zeitung aufgeschlagen, drei Anzeigen gesehen, die Mühle war das einzige Objekt, wo jemand ans Telefon ging. Die Entscheidung fiel spontan (verliebt!).
Die Mühle war verwunschen – ein echtes Dornröschen am Ortsrand, am Bach, in einem engen Jurakarst-Tal. Es war November und der Nebel hing tief. Die Entscheidung fiel über Nacht: Mein Mann hatte sich in die original erhaltene Gaststube von 1928 verliebt. Ich in den Backofen, die fünf Stockwerke mit Mühlenmaschinen, die Treppe zum Bach.
Im nächsten Frühjahr, nach genauer Überprüfung im Staatsarchiv, bezüglich möglicher toxischer, statischer oder auch menschlicher Altlasten und Begehung mit interessierten Architekten kauften wir.
Es folgten zwei Jahre Sicherung bzw. Entsorgung von Details, Türen, Möbel, Abbau „neuzeitlicher Einbauten“ aus 50er, 70er und 80er Jahren. Während dieser Zeit haben wir die Mühle sehr genau kennengelernt und ein Nutzungskonzept entwickelt, das es uns ermöglichte, das Haus entsprechend seinen Möglichkeiten zu nutzen. Parallel lief die denkmalpflegerische Voruntersuchung. Ziel war maximale „Energieeffizienz“ im Umbau.
Wir konnten Finanzierung und Förderung klären. Wir lernten die Abgründe und Interessenkonflikte der beteiligten Akteure kennen und energieeffizient lösen: Denkmalschutzbehörde - Obere und Untere, Architekt, Statik-Büro, Handwerker der verschiedenen Gewerke, Nachbarn, Altrechte, Gewohnheitsrechte, Nutzungskonzept ...
Die eigentliche Bauzeit betrug dann nur ein dreiviertel Jahr. Wir lernten die Formulierung des „Bauherr in Eigenleistung“ kennen.
Das große Wunder war, dass wir pünktlich fertig wurden, deutlich UNTER der veranschlagten Bausumme, auch die Abschreibung lief 100% im Plan. Das Wunder wurde möglich durch eine Reihe unkonventioneller Entscheidungen, maximale Aufmerksamkeit für Prozess und Schnittstellen und Unverdrossenheit.
Wir haben viel gelernt – und aus diesem Erfahrungswissen gebe ich gerne Tipps und Informationen an interessierte Baufrauen und Bauherren weiter: als Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin, als Baufrau, Ehefrau und Mutter, Marketingexpertin und als Heimatpflegerin.
Die Wege, ein historisches Gebäude zu sanieren und zu nutzen sind so individuell wie die Menschen, die dieses Haus über die Jahrhunderte geschaffen haben. „DEN WEG“ gibt es nicht – das unterscheidet Baudenkmäler vom Fertighaus. Die richtigen Entscheidungen sind immer mehrdimensional – das unterscheidet das Bauen im Bestand grundlegend von genormten Bauträger-Objekten.
Glauben Sie keinem, der Ihnen etwas anderes erzählt – er will nur ihr Geld!
Wir haben in der Oedmühle unser Glück gefunden. Für unsere mittlerweile erwachsenen Söhne hat die Mühle den Rang eines Familienmitglieds – eines „Brüderchens“.
Gabriele Bräutigam, April 2020