Zu diesem Thema fand am Freitag, dem 18.11.2011 im Gasthaus „Zum Schwan“ in Wanfried an der Werra eine Tagung und die Mitgliederversammlung des NetzwerkLehm e.V. statt. Eingeladen waren Mitglieder und Freunde des NetzwerkLehm e.V. (www.netzwerklehm.de) sowie interessierte Lehmbauer, Lehmbaustoffhändler und -hersteller, Architekten, Planer, Baubiologen, Bauberater und Kommunalverwaltungen.
Gastgeber waren das NetzwerkLehm e.V., die Bürgergruppe Wanfried, die Stadt Wanfried und das Büro für Baubiologie und Information – Dr. Volkenant & Wolff GbR (Sontra/Kassel).
Von Seiten der IgB haben Sabine Pönicke von der IgB-Außenstelle Naturpark Eichsfeld-Hainich-Werratal und der IgB-Geschäftsführer Wolfgang Greber teilgenommen.
In Deutschland gibt es rund 2,5 Millionen Fachwerkhäuser, die das Gesicht von Dörfern, Klein- und Mittelstädten prägen. Deren Zukunft ist ungewiss angesichts demografischer Veränderungen, eingeschränkten Finanzmitteln, veränderter Wohnansprüche und hoher Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden (auch außerhalb der EnEV). Mit dem Verlust von Fachwerkgebäuden verschwinden nicht nur einmalige Zeugnisse europäischer Baukunst, sondern es verlieren Dörfer und Städte ihr Gesicht.
Im nordhessischen Wanfried haben Stadt und Bürger erfolgreich nach Konzepten für die Sanierung von Fachwerkgebäuden gesucht, um letztendlich auch eine Perspektive für ihre vom demografischen Wandel stark bedrohte Stadt zu finden.
Im Rahmen des NetzwerkLehm-Treffens hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, mit den Mitgliedern der Bürgergruppe Wanfried über Konzepte, Planung und Durchführung sowie Erfolge, Kompromisse und Probleme zu diskutieren. Zudem konnte das alte Fachwerk-Musterhaus besichtigt werden, welches sich noch in der Ausführungsphase befindet.
Nach der Begrüßung durch den sehr rührigen und agilen Bürgermeister der Stadt Wanfried Wilhelm Gebhard folgte ein recht aufschlussreicher Vortrag: „Lehm - ein gesunder Baustoff?!“ von Peter Wolff, Baubiologe IBN, bei dem es nicht nur um Lehm ging, sondern um die Tücken „modernen“ Wohnens aus Sicht der Baubiologie und der Medizin. So mancher dürfte, während der Ausführungen von Herrn Wolff, mit Sorge an seine eigenen Wohnverhältnisse gedacht haben, über die Möblierung bis zur Ausstattung der Wohnräume und der Materialverwendung!
Nach dem gemeinsamen Mittagessen folgte die Vorstellung der Bürgergruppe Wanfried und des Projekts „Musterhaus“. Hierzu hat uns die als freie Journalistin arbeitende und in der Bürgergruppe engagierte Diana Wetzestein einen Text zur Verfügung gestellt sowie die Fotos, wofür wir gerne Danke sagen.
Insgesamt wurde offenkundig, dass nicht nur das Problem „Baubiologie“, als „gesünder Wohnen“ ein Thema ist, dem sich auch die IgB in Zukunft verstärkt widmen muss, sondern auch die wesentlich engere Vernetzung von Akteuren und Fachleuten in diesem Bereich notwendig ist, um das Wissen hierzu tiefer in die Bevölkerung hineinzutragen und die „chemischen Keulen“ der Baustoff- und anderer Industriezweige, die den Wohn- und Arbeitsbereich von uns allen überfluten, zu benennen und Alternativen aufzuzeigen.
Zum anderen wurde auch demonstriert, dass das Thema „demografischer Wandel“ im Hinblick auf die Verödung ländlicher Gebiete und damit naturgemäß auf den Niedergang dörflicher und kleinstädtischer Bausubstanz und historischer Baukultur ganz anders angegangen werden muss als bisher. Die Stadt Wanfried und die Bürgergruppe haben uns Teilnehmer durch ihre Aktivitäten und den Eifer beeindruckt, wie sie damit umgehen und was sie schon erreicht haben. Mögen sie anderen Kommunen und engagierten Bürgern ein Beispiel geben. Unser Tipp: Mal nach Wanfried fahren und sich vor Ort inspirieren lassen!
Wolfgang Greber, IgB
Von der Idee zum Fachwerkmusterhaus
von Diana Wetzestein
Wanfried. Auf gute umsetzbare Ideen aus der Bürgerschaft setzt Wilhelm Gebhard. Der 35-jährige ist Wanfrieds Bürgermeister und hat als ehemaliger Betriebswirt ein Vermarktungskonzept entwickelt, in dem er sich jeder aussichtsreichen Idee annimmt. Seit Herbst 2007 ist er im Amt, kann bereits Erfolge verzeichnen. Diese, so sagt er, seien eng verknüpft mit ehrenamtlichem Engagement Wanfrieder Bürger. Wie erfolgreich es ist, wenn Stadtverwaltung und Bürger zusammenarbeiten, zeigt Wanfried mit der Bürgergruppe für den Erhalt Wanfrieder Häuser und dem Fachwerkmusterhaus Wohnen.
Zahlen und Fakten
Der Werra-Meißner-Kreis, zu dem Wanfried gehört, gilt als das Armenhaus Nordhessens. Entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze fielen kurz nach der Mauer auch die Betriebe, die bis dahin durch die Zonenrandförderung Arbeitsplätze sichern konnten. Wanfried wurde besonders hart davon getroffen. Im Jahr 1990 hatte die Stadt noch 1.312 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze bei knapp 5000 Einwohnern, im Jahr 2005 sanken die Zahlen auf 666 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und 4400 Einwohner.
Im Herbst 2007 wurde der damals 31-jährige Betriebswirt Wilhelm Gebhard Bürgermeister. Gemeinsam mit der Bürgergruppe begann er die leer stehenden Häuser zu vermarkten. Damit stiegen die Besucherzahlen, der Tourismus wurde weiter ausgebaut und die Stadt Wanfried beinahe als Marke in Deutschland bekannt. Im Jahr 2010 wurden dann bereits 734 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze gezählt, zudem konnte ein im Werra-Meißner-Kreis einmaliges Einwohnerplus von 0,5 Prozent, das sind 21 Personen, im ersten Halbjahr verzeichnet werden. Derzeit hat die Stadt 4.253 Einwohner, Tendenz leicht steigend.
Unterstützung mit Know-how
Im Jahr 2006 zählte man in Wanfrieds Altstadt 21 leer stehende Fachwerkhäuser. Noch bevor man Land auf und Land ab den Begriff „demografischer Wandel“ publizierte, fassten zwei Mitglieder der heutigen Bürgergruppe den Entschluss, den fortschreitenden Leerstand aufzuhalten und zu beseitigen. Der Betriebswirt Gebhard schloss sich den Plänen der „Ersten Stunde“ an. Ein Restaurator und ein Architekt kamen noch dazu, die Gruppe wurde unter dem Namen „Wohnen, leben und arbeiten in Wanfried“ aktiv. Sie besichtigten die Häuser und vermerkten sie in einem Leerstandskataster. Kostenfrei bieten sie die Erstellung von Skizzen, Kostenschätzungen und Umbaupläne für ein Wohnen im Fachwerkhaus mit modernen Akzenten nach heutigem Wohn- und Energiestandart an. Beratung und Begleitung von Finanzierungs- und Förderanträgen, Bauberatung bei Ausführung von Eigenleistungen und Besprechungen mit Handwerkern sind ebenfalls ehrenamtliche und unentgeltliche Leistungen der heute 14-köpfigen Gruppe aus Elektroingenieur, vier Architekten, Restaurator, Versicherungsfachwirt, Berufsschullehrer, Rechtsanwalt, Journalistin, Zimmermeister und Hochbautechniker, Kunsthistorikerin sind als „Bürgergruppe für den Erhalt Wanfrieder Häuser“ bekannt. Seit 2009 werden Wanfrieds leer stehende Häuser auf einer niederländischen Internetplattform angeboten, für deren Veröffentlichung die Stadt Wanfried 300 Euro investierte.
Fazit nach drei Jahren
32.000 Klicks auf Wanfrieder Häuser wurden auf der Seite gezählt, 210 Anfragen wurden direkt vom Bürgermeister beantwortet, 105 Familien waren vor Ort, die Übernachtungszahlen stiegen sprunghaft an. Bis Ende 2011 wurden 22 Häuser durch die Bürgergruppe vermittelt, beinahe noch mal so viele, gingen ohne Zutun der Gruppe und allein durch den positiven Immobilientrend an neue Besitzer. Aufträge von knapp 800.000 Euro konnten ortsansässige Handwerker in den letzten zwei Jahren verzeichnen.
Ziele verfolgen, Stärken nutzen
Die Ziele der Bürgergruppe sind: Leerstände verringern, historische Gebäude erhalten und sanieren, Bausünden beseitigen und vermeiden, bezahlbaren Wohnraum für individuelles Wohnen schaffen. Dabei wird im Dialog mit den Bürgern versucht, die Neubürger so schnell wie möglich zu integrieren. Hier kommen der Stadt ihre Stärken und der agile Bürgermeister zugute. Eine hohe Bereitschaft an ehrenamtlicher Arbeit, gute sozialer Infrastruktur, familienfreundliches Umfeld, gelebte Ökumene, intakter Schulstandort, familiäre Kindertagesstätten, eine bühnenreife Gästeführerzunft, starker Tourismus durch sensiblen Umgang mit den Besonderheiten des Mittelgebirges am Fluss, seniorengerechte Unterkünfte und Wohneinheiten und ein privater Stromversorger mit hohem Anteil an Wasserkraftenergie in waldreicher und zentraler Lage in Deutschland, sind nur einige Stärken. Dass in der Mitte Deutschlands kein Fluglärm herrscht und die nächste Autobahn 35 Kilometer entfernt liegt, ist ebenfalls ein Standortvorteil.
Eigenes Sanierungsobjekt
Aber die Mitglieder der Gruppe können nicht nur reden, sie legen auch selbst Hand an. Mit der Sanierung der Uraltschule, einem klassizistischen Gebäude aus dem Jahr 1843, haben sie eigenes Projekt auf den Weg gebracht. Jeden Mittwoch treffen sich Mitglieder und handwerklich begabte Helfer in dem städtischen Gebäude, um nach und nach Fenster, Türen, Böden und Wände zu restaurieren. Dabei wird vor allem Wert auf stilgerechte Sanierung der vier Schulräume gelegt, die später einmal für Kulturveranstaltungen von den Wanfrieder Bürgern genutzt werden sollen. Finanzielle Unterstützung gab es vom Land Hessen, von Banken, Privatleuten und durch Spendenaufrufe der Bürgergruppe.
Musterhaus, Finanzierung und praktische Nutzung
Die Stadt Wanfried setzt zurzeit vor allem auf Historie und Fachwerkbaukultur. Im Februar 2010 wurde während einer Sitzung der Bürgermeister der interkommunalen Kooperation „Mittleres Werratal“ im Förderprogramm Stadtumbau West über die Verwendung frei gewordener Fördergelder gesprochen. Ein Teil des Geldes sollte für ein Fachwerkmusterhaus verwendet werden. Die Abrechnung der Fördergelder musste bis Ende 2010 erfolgen. In einer so kurzen Zeit das geeignete Objekt zu finden, Planungen zu erstellen und das Projekt durch die städtischen Gremien zu bringen, war für die Stadtoberhäupter undenkbar. Allein Bürgermeister Gebhard traute seiner Kommune diesen „Drahtseilakt“ zu. „Wir schaffen das“, sagte er mutig, weil er sich auf die Hilfe seiner Bürgergruppe verlassen konnte. So kam das Fachwerkmusterhaus Wohnen nach Wanfried.
Als geeignetes Objekt wurde ein jahrzehntelang leer stehendes Fachwerkhaus am historischen Platz „Auf der Börse“ ausgemacht. Seit April 2010 sind die Arbeiten im Gange. Realisierbar wurde das Projekt in der Kürze der Zeit nur durch die kostenfreie Mitarbeit der Bürgergruppe, die das geeignete Haus fand, bei der Planung mit im Boot war, die Bauarbeiten betreut und auch nach Fertigstellung das Projekt betreut. Im und am Musterhaus werden verschiedene Wandaufbauten, Dämmung, neue und alte wohngesunde Baumaterialien vorgestellt. Dafür rührte die Bürgergruppe auf der Denkmal 2010 in Leipzig die Werbetrommel und konnte für das Projekt Musterhaus namhafte Baustoffhersteller gewinnen, die sich mit neuesten Baumaterialien und Know-how beteiligen. Gute und enge Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Fachwerkstädte e. V. und dem Landesamt für Denkmalpflege sind für Wanfried selbstverständlich, Netzwerke mit versierten Fachbetrieben, Baubiologen und Fachwerkfreunden werden immer weiter vorangetrieben.
Das Land Hessen und der Bund geben 73,16 Prozent Förderung aus dem Programm „Stadtumbau West“, damit bleiben der Stadt noch 26,84 Prozent, die sie aus ihrem Haushalt finanzieren muss. Das sind etwa 67.000 Euro bei geschätzten Baukosten von 250.000 Euro. Die ausführenden Handwerksbetriebe haben ihre Angebote zugunsten des Musterhauses so gering wie möglich gehalten. In Mitmach-Seminaren werden Teile des Innenausbaus kostengünstig ausgeführt und so eine praktische Nutzung innerhalb der Bauphase gewährleistet. Das Fachwerkmusterhaus ergänzt die Vermarktungsstrategie von Bürgermeister Wilhelm Gebhard, der damit zeigen kann, welche Lebensqualität durch Fachwerk möglich ist.
Bundesministerium fördert Gruppenarbeit
Dies alles blieb der Öffentlichkeit nicht verborgen. Fernseh- und Radiosender, Die Welt, F.A.Z. und viele andere berichteten über das „Erfolgsmodell gegen den demografischen Wandel.“ Ministerien, Denkmalpfleger und Demografiebeauftragte interessieren sich für die Bürgergruppe, geben sich die Klinke in die Hand. Auch Oda Scheibelhuber, Leiterin der Abteilung „Stadtentwicklung, Raumordnung und Wohnen“ vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aus Berlin besuchte Wanfried. „Hier passiert praktisch, was wir theoretisch im Ministerium diskutieren“, sagte sie im Oktober 2010 und stellte der Bürgergruppe für Öffentlichkeitsarbeit eine Fördersumme von 45.000 Euro in Aussicht, die sie mit Bewilligungsbescheid vom März 2011 einlöste. Ein Teil des Geldes wird nun für die Präsentation der Bauarbeiten im Fachwerkmusterhaus verwendet. Der Rest dient zur Erstellung von Flyern, Teilnahme oder Ausrichtung von Seminaren und Vorträgen und zum Aufbau von Netzwerken.
Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit
Bürgermeister und Bürgergruppe empfangen immer mehr Besuchergruppen vor Ort, halten Vorträge, besuchen Messen, bilden Netzwerke und informieren über ihre Arbeit im Internet. Vertreter aus Bundesministerium, Landesregierung, Landesdenkmalrat und Denkmalpflege waren in Wanfried und preisen die Vorgehensweise der kleinen Stadt an der Werra als Modellstadt mit Zukunft an. Das Fachwerkmusterhaus wurde bereits beim „Tag des offenen Denkmals“ im September 2010 und 2011 für Besucher geöffnet. Die Seminare werden auch von der nahen Berufsschule als „Lehrbaustelle“ genutzt. Nach Fertigstellung im Frühjahr 2012 wird ein ehrenamtlicher Mitarbeiter des VDK Ortsverbandes Hessen im Präsentationsraum des Musterhauses sein Büro gemeinsam mit der Bürgergruppe einrichten. Dokumente, Fotos und Pläne des Umbaus werden dort zu sehen sein, regelmäßig sind Veranstaltungen rund um das Thema Fachwerk geplant. Zudem nehmen Stadt und Bürgergruppe an der Fachwerk-Triennale 2012 teil.
Gute Aussichten
Mit dem Fachwerkmusterhaus und durch die Arbeit der Bürgergruppe wurde bei vielen Menschen das Bewusstsein für das Besondere am Wohnen in historischen Häusern geweckt. Von den 21 leer stehenden Fachwerkhäusern der Altstadt sind heute noch fünf übrig. Und auch dafür gibt es schon Interessenten, die sich vielleicht für ein Wohnen und Leben in Wanfried entscheiden werden. Denn Bürgermeister Gebhard weiß und sagt es jedem:
„Wenn Sie sich verbessern wollen, dann ziehen Sie nach Wanfried!“
Information: www.wanfried.de